Rz. 66

Deckt die Pflichtverteidigerbestellung auch diejenigen Tätigkeiten ab, die der Anwalt bislang als Wahlverteidiger ausgeübt hat (§ 48 Abs. 6), so sind Vorschüsse und Zahlungen anzurechnen. Dabei kommt es nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob vor oder nach Bestellung oder ob auf die Wahlverteidigergebühren oder eine Vergütungsvereinbarung gezahlt worden ist. Anderer Ansicht ist Brieske,[63] wenn der Beschuldigte vor Pflichtverteidigerbestellung auf eine Vergütungsvereinbarung gezahlt hat.

 

Beispiel: Der Anwalt wird zunächst als Wahlverteidiger beauftragt und trifft mit dem Beschuldigten eine Vergütungsvereinbarung, wonach zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer für das vorbereitende Verfahren einschließlich Grundgebühr 500 EUR, für das gerichtlich Verfahren (ohne Hauptverhandlung) 300 EUR, für den ersten Hauptverhandlungstermin vor dem AG 600 EUR und für jeden Fortsetzungstermin 400 EUR zu zahlen sind. Der Beschuldigte zahlt für das vorbereitende Verfahren 500 EUR und für das gerichtliche Verfahren 300 EUR und für den Hauptverhandlungstermin nochmals 600 EUR. Weitere Vorschüsse werden nicht gezahlt. In dem ersten Fortsetzungstermin wird der Anwalt dann als Pflichtverteidiger bestellt.

Vom Beschuldigten sind also vorschussweise gezahlt worden:

 
1. für das vorbereitende Verfahren, VV 4100, 4104 700,00 EUR
2. für das gerichtliche Verfahren (ohne Hauptverhandlung, VV 4106) 300,00 EUR
3. für den ersten Hauptverhandlungstermin, VV 4100 600,00 EUR
4. für den Fortsetzungstermin, VV 4100 0,00 EUR
5. für die Auslagen, VV 7002 0,00 EUR

Nach der Auffassung von Brieske ist wie folgt zu rechnen:

Der Anspruch gegen die Staatskasse berechnet sich wie folgt:

 
1. für das vorbereitende Verfahren, VV 4100 181,50 EUR
  VV 4104 145,00 EUR
  Hierfür hat der Anwalt mit 700 EUR bereits mehr als das Doppelte  
  der Pflichtverteidigervergütung (653 EUR) erhalten, so dass volle – 181,50 EUR
  und – 145,00 EUR
  angerechnet werden müssen.  
2. für das gerichtliche Verfahren (ohne Hauptverhandlung), VV 4106 145,00 EUR
  Auch hier hat der Anwalt mit 300 EUR bereits mehr als das Doppelte der Pflichtverteidigervergütung (290 EUR) erhalten, so dass auch hier die vollen – 145,00 EUR
  angerechnet werden sollen.  
3. für den ersten Hauptverhandlungstermin, VV 4108 242,00 EUR
  Auch hier hat der Anwalt mit 600 EUR bereits mehr als das Doppelte der Pflichtverteidigervergütung (484 EUR) erhalten, so dass auch hier die vollen – 242,00 EUR
  angerechnet werden sollen.  
4. für den Fortsetzungstermin, VV 4108 242,00 EUR
  Für diese Tätigkeit hat der Anwalt noch keinen Vorschuss und noch keine Zahlung erhalten, so dass eine Anrechnung nicht in Betracht kommen soll. Unzulässig wäre es nach der Ansicht von Brieske, die zu Nr. 1, 2 und 3 über das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren hinausgehenden Zahlungen  
 

700,00 EUR – 2 x 181,50 EUR – 2 x 145,00 EUR = 47,00 EUR

300,00 EUR – 2 x 145,00 EUR = 10,00 EUR

600,00 EUR – 2 x 242,00 EUR = 116,00 EUR,
 
  also insgesamt weitere 173 EUR anzurechnen, da diese ausdrücklich auf die Gebühren nach Nr. 1, 2 und 3 gezahlt worden sind.  
5. für die Auslagen, VV 7002 20,00 EUR
  Auch insoweit kommt eine Anrechnung nicht in Betracht. Es gilt das Gleiche wie zu Nr. 4.  
Gesamt 262,00 EUR

Die Berechnung der Gegenauffassung verstößt gegen den eindeutigen Wortlaut des Abs. 3 S. 1. Danach sind auch Zahlungen "vor einer gerichtlichen Bestellung" anzurechnen. Dazu gehören auch Zahlungen aufgrund einer Vereinbarung. Dies war nach schon nach § 101 BRAGO ausdrücklich angeordnet. Durch die Neufassung in Abs. 3 hat sich hieran nichts geändert. Diese gesetzlich vorgeschriebene Anrechnung kann nicht durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten oder einem Dritten ausgeschlossen werden (ausführliche Angaben siehe Rdn 62 f.).

Im Beispiel sind daher die gesamten Vorschüsse und Zahlungen i.H.v. insgesamt 1.600 EUR auf die Pflichtverteidigervergütung – allerdings vorbehaltlich des Abs. 3 S. 3 – innerhalb des jeweiligen Verfahrensabschnitts anzurechnen, also für das vorbereitende Verfahren 700 EUR und für das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren 900 EUR.

[63] StV 1995, 331; ebenso wohl auch Enders, JurBüro 1996, 449, 452 m. Berechnungsbsp.

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