Norbert Schneider, Peter Fölsch
Rz. 20
Zahlungen gemäß § 58 Abs. 2 können aber nur dann als Anrechnungsbeträge für eine Anrechnung nach § 15a, VV Vorb. 3 Abs. 4 herangezogen werden, soweit sie noch nach einer Verrechnung auf den Differenzbetrag zwischen Wahlanwaltsvergütung (§ 13) und Vergütung eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalts (§ 49) verbleiben. Der Gesetzgeber hatte indes bei Einführung des § 15a die Frage nicht geklärt, ob die Zahlungen gemäß § 58 Abs. 2 auf den Differenzbetrag zwischen Wahlanwalts- und Prozesskostenhilfevergütung zu verrechnen sind oder nicht, bevor eine Anrechnung gemäß § 15a, VV Vorb. 3 Abs. 4 vorzunehmen ist.
Rz. 21
Ebenso wenig ergibt sich aus § 15a und § 55 Abs. 5, ob im Falle der Zahlung der Geschäftsgebühr an den Rechtsanwalt die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach der Wahlanwalts-Gebührentabelle (§ 13), nach der die Geschäftsgebühr gezahlt worden ist, oder nach der PKH-Gebühren-Tabelle (§ 49) zu erfolgen hat. Da die Geschäftsgebühr aber nach der Wahlanwalts-Gebührentabelle (§ 13) entstanden ist, ist dieser Gebührenbetrag auch zur Grundlage für eine hälftige Anrechnung zu nehmen.
Rz. 22
Die genannten Voraussetzungen für eine konkret durchzuführende Anrechnung, dass eine den Anrechnungsbetrag erfassende tatsächliche Zahlung geleistet ist und dass ein Anrechnungsbetrag auch nach einer vorrangigen Verrechnung mit Differenzkosten verbleibt, sind sowohl dann zu prüfen, wenn eine Anrechnung auf die Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Vertretung oder wenn eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr für die gerichtliche Vertretung erfolgen soll. Denkbar ist, dass es rechnerische Unterschiede geben kann, je nachdem, für welche Anrechnungsreihenfolge sich der Anwalt entscheidet. Diese vielleicht überraschende Erkenntnis ist aber gesetzgeberischer Ausfluss, dass § 15a Abs. 1 dem Anwalt das Wahlrecht gegeben hat, welche Gebühr auf welche Gebühr anzurechnen ist. Relevant werden solche Fälle in der Praxis vor allem dann, wenn der Anwalt eine Vergütung im Rahmen von Beratungshilfe geltend macht (im Einzelnen vgl. VV 2503 Rdn 31 ff.).
Rz. 23
Beispiel (Rechtslage bis 31.12.2020): Der Anwalt wird außergerichtlich tätig. Der Mandant zahlt die außergerichtliche Vergütung. Sodann vertritt der Anwalt den Mandanten auch im Rechtsstreit. Der Mandant erhält Prozesskostenhilfe. Der Rechtsstreit endet ohne Termin. Der Gegenstandswert bzw. Streitwert beträgt 9.000 EUR. Der Anwalt begehrt die Festsetzung der Prozesskostenhilfevergütung. Ist bei der Festsetzung der Vergütung die Anrechnung durchzuführen?
I. Außergerichtliche Vertretung
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300, § 13 (Wert: 9.000 EUR) |
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659,10 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
679,10 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
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129,03 EUR |
Gesamt |
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808,13 EUR |
II. Vertretung im Rechtsstreit
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100, § 49 (Wert: 9.000 EUR) |
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386,10 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
406,10 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
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77,16 EUR |
Gesamt |
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483,26 EUR |
III. Anrechnung
Im Grundansatz gibt VV Vorb. 3 Abs. 4 vor, dass der Anrechnungsbetrag die Hälfte der Geschäftsgebühr, mithin 329,55 EUR beträgt. Weil der Anwalt die volle Vergütung für das außergerichtliche Mandat ohne Anrechnung bereits erhalten hat, folgt aus § 15a Abs. 1, dass die Anrechnung nunmehr auf die Vergütung für die gerichtliche Vertretung erfolgen müsste. Der Anwalt kann aber den anzurechnenden Betrag von 329,55 EUR zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung verrechnen. Die 1,3-Verfahrensgebühr VV 3100 nach der Wahlanwaltsgebührentabelle beträgt 659,10 EUR. Die 1,3 Verfahrensgebühr nach der Prozesskostenhilfegebührentabelle (§ 49) beträgt 386,10 EUR. Die Differenz beträgt also 273 EUR. Dieser Differenzbetrag ist von dem Anrechnungsbetrag abzuziehen. Es verbleibt damit im Ergebnis ein Anrechnungsbetrag von 329,55 EUR abzüglich 273 EUR, mithin 56,55 EUR. Dem Anwalt ist die volle Verfahrensgebühr nach der Gebührentabelle des § 49 in Höhe von 386,10 EUR unter Anrechnung des Anrechnungsbetrags von 56,55 EUR, also 329,55 EUR aus der Staatskasse zuzüglich Auslagen festzusetzen. Der Anwalt erhält für das gerichtliche Mandat insgesamt 415,96 EUR.