Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
Rz. 28
Das an die Staatskasse gerichtete Verbot, ein auf sie übergegangenes Beitreibungsrecht nach § 126 ZPO entgegen den Erfüllungsinteressen des beigeordneten Anwalts geltend zu machen, erschöpft sich nicht darin, dass die übergegangene Forderung bei der Staatskasse "ruht", solange der Anwalt noch nicht vollständig befriedigt ist. Vielmehr kommen Sinn und Zweck des Gesetzes nur zur Geltung, wenn der Anwalt auch den auf die Staatskasse übergegangenen Anteil seines Erstattungsanspruchs gegen den Gegner weiterhin für seine Entlohnung einzusetzen berechtigt ist, soweit er ihn dafür benötigt. In diesen Fällen bleibt die Einziehungsbefugnis bei ihm, obwohl er nicht mehr Inhaber der Forderung ist. Deshalb darf der Anwalt eine Vergütung aus der Staatskasse zunächst in vollem Umfang auf diejenigen Kosten verrechnen, für die ein (teilweise) erstattungspflichtiger Gegner nicht haftet. Erst wenn er alle Gebühren und Auslagen erhalten hat, kann die Staatskasse den dann noch verbleibenden Teil des auf sie übergegangenen Beitreibungsrechts nach § 126 ZPO für sich einsetzen.
Beispiel: Es ist ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Staatskasse hat die Grundvergütung von 600 EUR bezahlt, die vollen Regelgebühren des beigeordneten Anwalts belaufen sich auf 950 EUR. Der gesamte Erstattungsanspruch gegen den nur teilweise kostentragungspflichtigen Gegner beträgt 380 EUR.
Durch die Befriedigung des Anwalts i.H.v. 600 EUR ist dessen Beitreibungsrecht bis zu dieser Höhe, mithin also vollständig auf die Staatskasse übergegangen. Der Anwalt benötigt die Forderung aber teilweise für sich selbst, da von den Regelgebühren noch 350 EUR offen sind und er anderweitig keine Erfüllung erlangen kann. Deshalb darf er die Zahlungen aus der Staatskasse auf den "ungedeckten" Teil seiner Vergütung verrechnen und den Restbetrag von 350 EUR im Wege der Kostenfestsetzung vom Gegner einfordern. Erst wenn er voll befriedigt ist, kann die Staatskasse die übergegangene Forderung in Höhe der verbleibenden 30 EUR geltend machen.
Rz. 29
Der Vorrang des Anwalts bei der Durchsetzung seines Beitreibungsrechts "setzt eine Konkurrenzsituation voraus, sei es in der Vollstreckung, sei es schon bei der Festsetzung infolge Bildung einer Kostenquote". Diese Rivalität besteht allerdings nicht im Verhältnis der einzelnen Gebührentatbestände zueinander, die einerseits Gegenstand der Vergütung aus der Staatskasse und andererseits des Beitreibungsrechts gegen den (nur teilweise) erstattungspflichtigen Gegner sind. Vielmehr geht es bei Abs. 1 S. 2 darum, dass die Restforderung aus dem Anwaltsvertrag, die von einem Erstattungsanspruch gegen den Gegner gedeckt ist, mit dem Rückgriffsanspruch der Staatskasse aus eben diesem Erstattungsanspruch kollidiert. Auf welche Gebührenanmeldung des beigeordneten Anwalts die Staatskasse gezahlt hat, also weshalb deren Beitreibungsrecht besteht, ist angesichts des geschützten Erfüllungsinteresses für den Vorrang des Anwalts unerheblich. So kann der Anwalt etwaige Zahlungen der Staatskasse zuerst auf die Umsatzsteuer verrechnen, weil ein voll erstattungspflichtiger Gegner insoweit nicht haftet, und die (restlichen) Nettogebühren nach § 126 ZPO beitreiben, während die Staatskasse nur noch den danach verbleibenden Erstattungsanspruch gegen den Gegner erheben kann (siehe § 55 Rdn 209 ff.). Der Vorrang greift allerdings nur so weit, wie ein Vergütungsanspruch des Anwalts gegen die bedürftige Partei entstanden ist. Hat der Anwalt neben dieser noch einen Streitgenossen ohne Prozesskostenhilfe vertreten (siehe § 48 Rdn 93 ff.; zur Abrechnung bei mehreren Auftraggebern mit Prozesskostenhilfesiehe § 55 Rdn 215 ff.) und wird die Auffassung geteilt, dass in einem solchen Fall eine Wahlanwaltsvergütung nur kopf- oder wertanteilig entsteht (siehe § 7 Rdn 49), bestünde ein Vorrang auch nur in diesem Umfang. Das ist jedoch zum Schutz des Anwalts abzulehnen.