Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
1. Die bürgenähnliche Stellung der Staatskasse
Rz. 26
Durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird die Staatskasse von Gesetzes wegen verpflichtet, die Entlohnung des beigeordneten Anwalts bis zur Höhe der Grundvergütung (§ 49) sicherzustellen und notfalls aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Es handelt sich um eine selbstständige Verbindlichkeit, die als (gesetzliche) "Hilfsschuld" neben die (vertragliche) Hauptschuld der Partei tritt, allerdings mit der Besonderheit, dass der Anwalt regelmäßig (siehe Rdn 3 zur Ausnahme) nicht (zuerst) auf die Hauptschuld, sondern nur auf die "Hilfsschuld" zugreifen kann, weil sein Anspruch gegen die Partei grundsätzlich nicht durchsetzbar ist (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Das ändert jedoch nichts an der gesetzlichen Konzeption der Beziehung Anwalt – Partei – Fiskus. Soweit es um die Entlohnung des Anwalts geht, hat die Staatskasse bis zur Höhe der Grundvergütung gleichsam wie bei einer Bürgschaft (auf erstes Anfordern) für die Regelgebühren einzustehen, die aufgrund der anwaltlichen Tätigkeit im Verhältnis zur Partei anfallen. Darüber hinaus gehört es bei Prozesskostenhilfe zu ihren gesetzlichen Aufgaben, an der vollen Vergütung des Anwalts mitzuwirken, soweit die Verhältnisse das hergeben (§ 50).
Rz. 27
Aus dieser Gestaltung der Rechtsbeziehung zwischen Staatskasse und dem im Wege der Prozesskostenhilfe (§ 12) beigeordneten Anwalt folgt, dass der Gesetzgeber das Erfüllungsinteresse des Anwalts in den Vordergrund gerückt hat und ein damit kollidierendes Interesse der Staatskasse, für den von ihr aufgebrachten Teil der Vergütung einen Ausgleich zu erlangen, als nachrangig einstuft. Durch die Gleichstellung der Beiordnung nach § 138 FamFG sowie der Bestellung nach § 67a Abs. 1 S. 2 VwGO mit der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe (Abs. 1 S. 1) gilt das auch innerhalb dieser Schuldverhältnisse. Dem trägt die Subsidiaritätsklausel zum übergegangenen Anspruch in Abs. 1 S. 2 Rechnung, wie sie sich auch bei der Bürgschaft in § 774 Abs. 1 S. 2 BGB und an anderer Stelle jeweils dort wiederfindet, wo die wirtschaftlichen Belange des Gläubigers gegenüber dem Leistenden als schutzwürdig angesehen werden (vgl. § 426 Abs. 2 S. 2 BGB).
2. Bedeutung für das Beitreibungsrecht nach § 126 ZPO
Rz. 28
Das an die Staatskasse gerichtete Verbot, ein auf sie übergegangenes Beitreibungsrecht nach § 126 ZPO entgegen den Erfüllungsinteressen des beigeordneten Anwalts geltend zu machen, erschöpft sich nicht darin, dass die übergegangene Forderung bei der Staatskasse "ruht", solange der Anwalt noch nicht vollständig befriedigt ist. Vielmehr kommen Sinn und Zweck des Gesetzes nur zur Geltung, wenn der Anwalt auch den auf die Staatskasse übergegangenen Anteil seines Erstattungsanspruchs gegen den Gegner weiterhin für seine Entlohnung einzusetzen berechtigt ist, soweit er ihn dafür benötigt. In diesen Fällen bleibt die Einziehungsbefugnis bei ihm, obwohl er nicht mehr Inhaber der Forderung ist. Deshalb darf der Anwalt eine Vergütung aus der Staatskasse zunächst in vollem Umfang auf diejenigen Kosten verrechnen, für die ein (teilweise) erstattungspflichtiger Gegner nicht haftet. Erst wenn er alle Gebühren und Auslagen erhalten hat, kann die Staatskasse den dann noch verbleibenden Teil des auf sie übergegangenen Beitreibungsrechts nach § 126 ZPO für sich einsetzen.
Beispiel: Es ist ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Staatskasse hat die Grundvergütung von 600 EUR bezahlt, die vollen Regelgebühren des beigeordneten Anwalts belaufen sich auf 950 EUR. Der gesamte Erstattungsanspruch gegen den nur teilweise kostentragungspflichtigen Gegner beträgt 380 EUR.
Durch die Befriedigung des Anwalts i.H.v. 600 EUR ist dessen Beitreibungsrecht bis zu dieser Höhe, mithin also vollständig auf die Staatskasse übergegangen. Der Anwalt benötigt die Forderung aber teilweise für sich selbst, da von den Regelgebühren noch 350 EUR offen sind und er anderweitig keine Erfüllung erlangen kann. Deshalb darf er die Zahlungen aus der Staatskasse auf den "ungedeckten" Teil seiner Vergütung verrechnen und den Restbetrag von 350 EUR im Wege der Kostenfestsetzung vom Gegner einfordern. Erst wenn er voll befriedigt ist, kann die Staatskasse die übergegangene Forderung in Höhe der verbleibenden 30 EUR geltend machen.
Rz. 29
Der Vorrang des Anwalts bei der Durchsetzung seines Beitreibungsrechts "setzt eine Konkurrenzsituation voraus, sei es in der Vollstreckung, sei es schon bei der Festsetzung infolge Bildung einer Kostenquote". Diese Rivalität besteht allerdings nicht im Verhältnis der einzelnen Gebührentatbestände zueinander, die einerseits Gegenstand der Vergütung aus der Staatskasse und andererseits des Beitreibungsrechts gegen den (nur teilweise) erstattungspflichtigen Gegner sind. Vielmehr geht es bei Abs. 1 S. 2 darum, dass die Restforderung aus dem Anwaltsvertrag, die von einem Erstattungsanspruch gegen den Gegner gedeckt i...