Rz. 29
Die Vergütung wird nach Abs. 1 S. 1, 2. Alt. auch dann fällig, wenn die gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 1 beendet ist. Mitunter wird dieser Zeitpunkt mit der Erledigung des Auftrags zusammenfallen. Dies muss jedoch nicht sein. Ein einheitlicher Auftrag kann durchaus mehrere Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne umfassen.
Beispiel: Der Anwalt erhält den Auftrag, für den Mandanten dessen Verkehrsunfallschaden zu regulieren. Da den Mandanten ein hälftiges Mitverschulden trifft, soll der Anwalt sowohl mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer als auch mit dem eigenen Kaskoversicherer die Regulierung durchführen. Der Kaskoversicherer zahlt die Versicherungsleistung; die Korrespondenz mit dem Haftpflichtversicherer dauert noch an.
Die Regulierung mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer sowie die Abwicklung mit dem eigenen Kaskoversicherer stellen gebührenrechtlich zwei verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 15 Abs. 1 dar.
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Mit der Zahlung des Kaskoversicherers ist diese Angelegenheit erledigt. Die daraus resultierende Vergütung wird fällig. |
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Die Abwicklung mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer dauert dagegen noch an. Insoweit ist daher weder der Auftrag erledigt noch die Angelegenheit beendigt, so dass auch noch keine Fälligkeit der Gebühren eingetreten ist. |
Rz. 30
Erhält der Anwalt den Auftrag, Hauptsacheklage zu erheben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Verfügung oder die Anordnung eines Arrests zu beantragen, so handelt es sich zwar um einen einheitlichen Auftrag, aber um verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4 Buchst. a und b). Auch hier kann also die Fälligkeit zu verschiedenen Zeitpunkten eintreten.
Rz. 31
Gleiches gilt für einstweilige Anordnungen, soweit diese eine eigene Angelegenheit darstellen (§ 17 Nr. 4 Buchst. b; § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 bei abgesonderter Verhandlung). Auch hier tritt die Fälligkeit hinsichtlich der einstweiligen Anordnung unabhängig von der Fälligkeit der Hauptsache ein.
Rz. 32
Gleiches gilt für Beschwerdeverfahren, sofern diese gesonderte Gebühren auslösen (§ 17 Nr. 1; § 18 Abs. 1 Nr. 3).
Beispiel: Gegen die Aussetzung des Verfahrens durch das LG legt der Anwalt für seinen Mandanten Beschwerde ein. Der Beschwerde wird vom OLG stattgegeben; der Aussetzungsbeschluss wird aufgehoben, so dass das Verfahren vor dem LG fortgesetzt wird.
Die Vergütung für das Beschwerdeverfahren (VV 3500) ist mit dem Beschluss des Beschwerdegerichts nach Abs. 1 S. 1, 2. Alt. fällig geworden. Die Vergütung für das Verfahren vor dem LG ist dagegen noch nicht fällig.
Rz. 33
Die Fälligkeit der Vergütung nach Abs. 1 S. 1, 2. Alt. tritt immer dann ein, wenn sich ein Auftrag aus mehreren Angelegenheiten zusammensetzt. Zu dem eigenständigen Anwendungsbereich des Abs. 1 S. 1, 2. Alt. zählen daher insbesondere die Fälle, in denen das Gesetz für zeitlich aufeinander folgende Tätigkeiten des Anwalts innerhalb eines einheitlichen Auftrags jeweils eigene Angelegenheiten vorsieht. Hierzu zählen insbesondere die Anrechnungsfälle (z.B. Anm. zu VV 2100; VV Vorb. 2.3 Abs. 4 bis 6; VV Vorb. 3 Abs. 4, 5 und 6; Anm. Abs. 2 zu VV 3100; Anm. zu VV 3305; Anm. zu VV 3307). Mit Erledigung der anzurechnenden Angelegenheit ist diese beendet, ungeachtet der weiteren Tätigkeit des Anwalts in der nachfolgenden Angelegenheit, so dass die Vergütung der anzurechnenden Angelegenheit fällig wird.
Beispiel: Der Anwalt erhält den Auftrag, eine Forderung geltend zu machen und beizutreiben. Er schickt ein außergerichtliches Mahnschreiben und beantragt anschließend den Erlass eines Mahnbescheids. Nach Widerspruch geht die Sache in das streitige Verfahren über.
Insgesamt liegt zwar ein einheitlicher Auftrag vor, nämlich die Beitreibung der Forderung. Gebührenrechtlich handelt es sich jedoch um drei verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 15 Abs. 1, nämlich außergerichtliche Vertretung (VV 2300), Mahnverfahren (VV 3305 ff.) und Rechtsstreit (VV 3100 ff.; § 17 Nr. 2). In jeder dieser Angelegenheiten erhält der Anwalt eine eigene Vergütung, die jeweils nach Beendigung der einzelnen Angelegenheit fällig wird.
Rz. 34
Auch dann, wenn keine Anrechnung vorgesehen ist, können bei einem einheitlichen Auftrag mehrere gebührenrechtliche Angelegenheiten gegeben sein, so dass für die einzelnen Vergütungen verschiedene Fälligkeiten eintreten.
Beispiel 1: Geht einem Rechtsstreit vor dem ArbG ein Verfahren vor dem Integrationsamt zwecks Zustimmung zur Kündigung voraus, so wird die durch dieses Verfahren ausgelöste Vergütung nach VV 2300 mit Abschluss des Zustimmungsverfahrens nach Abs. 1 S. 1, 2. Alt. fällig, unabhängig davon, wann die Vergütung einer späteren Kündigungsschutzklage nach VV 3100 ff. fällig wird.
Beispiel 2: Der Anwalt erhält den Auftrag, eine Forderung gerichtlich durchzusetzen. Nach Klageabweisung in der ersten Instanz wird Berufung eingelegt. Die Vergütung für das erstinstanzliche Verfahren wird nach Abs. 1 S. 1, 2. Alt. fällig, obwohl der Auftrag zur Durchsetzung der Forderung no...