Rz. 109
Auch für vereinbarte Vergütungen gilt grundsätzlich § 9. Diese Vorschrift ist in Abschnitt 1 des RVG "Allgemeine Vorschriften" enthalten und gilt daher für sämtliche Vergütungen, nicht nur für die gesetzliche Vergütung. Auch im Falle einer Vergütungsvereinbarung können daher grundsätzlich Vorschüsse vom Auftraggeber verlangt werden.
Zweifelhaft ist allerdings, ob sich die Vorschusspflicht in allen Fällen aus § 9 ergibt oder ob die Zahlung von Vorschüssen gegebenenfalls in der Vereinbarung ausdrücklich geregelt sein muss.
Bedenken ergeben sich insoweit, als nach § 9 der Anwalt von seinem Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden "Gebühren und Auslagen" einen angemessenen Vorschuss verlangen kann.
Soweit die Vergütungsvereinbarung derart gestaltet ist, dass anstelle der gesetzlichen Gebühren und Auslagen andere – nämlich zwischen den Parteien vereinbarte – Gebühren und Auslagen geschuldet werden, etwa das Doppelte der gesetzlichen Gebühren oder die gesetzlichen Gebühren nach einem höheren Streitwert oder zwar die gesetzlichen Gebühren aber entgegen den §§ 15, 16 ff. mehrere Angelegenheiten vereinbart sind, bestehen gegen die Anwendung des § 9 grundsätzlich keine Bedenken.
Anders verhält es sich dagegen, wenn die Parteien von dem Gebühren- und Auslagensystem des RVG völlig abgerückt sind, also wenn sie z.B. Pauschalen oder Zeitvergütungen vereinbart haben. Dann gibt es keine "Gebühren" und gegebenenfalls auch keine Auslagen, so dass die Vorschrift des § 9 vom Wortlaut her nicht anzuwenden ist.
Das gleiche Problem stellt sich, wenn zusätzlich zur gesetzlichen Vergütung ein "Zuschlag" oder ein "Zusatzhonorar" vereinbart worden ist.
Der Anwalt sollte sich erst gar nicht auf diese Auslegungsfrage einlassen und unabhängig davon, welche Art der Vergütung vereinbart wird, ausdrücklich auch die Vorschusspflicht in der Vereinbarung regeln. Insoweit bietet sich folgende Klausel an: "Der Anwalt ist jederzeit berechtigt, für die bereits angefallene Vergütung sowie die voraussichtlich noch anfallende weitere Vergütung einen angemessenen Vorschuss zu fordern."
Die Formulierung des "angemessenen Vorschusses" ist nicht zu unbestimmt, da sie der gesetzlichen Regelung entspricht und insoweit auf die Rechtsprechung zu den gesetzlichen Gebühren und Auslagen zurückgegriffen werden kann.
Wer hier ganz sicher gehen will, vereinbart betragsmäßig bezifferte Vorschüsse und regelt zugleich die Zeitpunkte, zu denen die Vorschüsse fällig sein sollen. Diese Zeitpunkte können nach Datum angegeben oder an den Fortschritt der Angelegenheit geknüpft werden.
In manchen Fällen kann bei vereinbarten Vergütungen zweifelhaft sein, ob Vorschüsse verlangt werden können. Es ist dann durch Auslegung zu ermitteln, ob die Vorschrift des § 9 abbedungen sein soll. Hiervon wird dann auszugehen sein, wenn die Vergütungsvereinbarung selbst konkrete Abschlags- oder Teilzahlungen vorsieht; dann dürften darüber hinausgehende Vorschusszahlungen als vertraglich ausgeschlossen anzusehen sein. Enthält die Vergütungsvereinbarung keine ausdrückliche Regelung, dürfte das Vorschussrecht nach § 9 bestehen, es sein denn, aus Sinn und Zweck der Vereinbarung ergibt sich etwas anderes.
Beispiel: In der Vergütungsvereinbarung ist geregelt, dass der Anwalt seine vereinbarte Vergütung nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aus dem Erbteil entnehmen soll.
Aus der Regelung, dass das Honorar aus dem Erbteil gezahlt werden soll, ergibt sich eine Stundungsvereinbarung, die unterlaufen würde, wenn der Anwalt einen Vorschuss verlangen könnte.
Zu beachten ist, dass Vorschüsse keine Leistung auf die Vergütung darstellen. Freiwillig und vorbehaltlos geleistete Vorschusszahlungen führen daher – im Gegensatz zu einer Zahlung auf eine Rechnung – nicht zu einer Umkehr der Beweislast.