Rz. 115
Die Geschäftsgebühr ist eine Rahmengebühr. Der Rechtsanwalt muss die konkrete Höhe der Gebühr nach den Kriterien des § 14 und unter Berücksichtigung des Schwellenwertes von 1,3 (Anm. zu VV 2300) bestimmen. Macht er die Geschäftsgebühr im Prozess gegen den Gegner geltend – sei es im Zusammenhang mit der Hauptforderung oder allein –, muss er zur Bestimmung der Gebühr substantiiert vortragen. Er muss also darlegen, welche Kriterien er wie gewichtet hat und wie er zu der Gebühr in der geltend gemachten Höhe kommt. Im Gegensatz zur Auffassung von Braun ist jedoch kein Gutachten der Rechtsanwaltskammer über die Angemessenheit der Gebühren einzuholen. § 14 Abs. 3 (Abs. 2 a.F.), der die Einholung dieses Gutachtens regelt, entspricht, was diese Regelung betrifft, dem früheren § 12 Abs. 2 BRAGO. Für diese Vorschrift war aber anerkannt, dass sie die Einholung eines Kammergutachtens nur im Gebührenprozess zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber regelt, in einem Rechtsstreit zwischen dem Gebührenschuldner und einem Erstattungspflichtigen aber gerade nicht gilt. Es deutet nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber diese Konzeption ändern wollte, zumal ja die Gerichte schon im Zusammenhang mit Kostenfestsetzungsverfahren im FGG-Verfahren oder bei Freisprüchen in Strafsachen Erfahrung mit der Bemessung von Rahmengebühren haben. Es bedarf also keines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer. Beim Sachvortrag zu den Kriterien des § 14 Abs. 1 ist auf die Person des Auftraggebers abzustellen. Es kommt also auf dessen wirtschaftlichen Verhältnisse und auf die Bedeutung der Sache für ihn an, nicht dagegen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gegners.
Rz. 116
Bei der Prüfung der Angemessenheit der Gebühren ist zu berücksichtigen, dass dem Anwalt bei der Bemessung von Rahmengebühren ein Beurteilungsspielraum zusteht. Im Erstattungsprozess des Anwalts gegen den Dritten ist das Gericht angesichts dieses Ermessens auf eine Kontrolle dahin gehend beschränkt, ob die Gebührenbestimmung unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4). Im Zahlungsprozess des Anwalts gegen den Mandanten ist die Leistungsbestimmung des Anwalts gemäß § 315 Abs. 3 BGB nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum des Anwalts sieht die Rechtsprechung eine Gebührenbestimmung dann noch als billig an, wenn sie nicht mehr als 20 % von derjenigen Gebühr abweicht, die das Gericht als billig ansehen würde. Dieser Beurteilungsspielraum (sog. Toleranzbereich) steht dem Anwalt aber nicht zu, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, ob die Angelegenheit umfangreich oder schwierig war und deshalb der Schwellenwert nach der Anm. zu VV 2300 überschritten werden darf (vgl. dazu die Ausführungen zu § 14 Rdn 74 ff.). Ein Überschreiten der Schwellengebühr von 1,3 ist daher der gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen. Die Gebühr darf also nur dann vom Gericht herabgesetzt werden, wenn die vom Rechtsanwalt angesetzte Gebühr mehr als 20 % über der Gebühr liegt, die das Gericht für angemessen hält.
Rz. 117
Soweit in Literatur und Rechtsprechung aufgrund der Einführung des RVG mit seinen weiteren Gebührenrahmen eine Erweiterung des Toleranzbereichs von 20 % auf 30 % befürwortet wurde, kann dem nicht zugestimmt werden: Man mag gegen einen prozentualen Aufschlag im Bereich einer Ermessensüberprüfung schon grundsätzliche Einwände haben. Diese können jedoch nicht darüber hinweghelfen, dass die Praxis ein brauchbareres Instrumentarium zur Überprüfung der anwaltlichen Gebührenbestimmung (noch) nicht gefunden hat. Sie wird also weiter mit einem Toleranzbereich arbeiten, ohne nachvollziehbar begründen zu können, warum eine um 20 % höhere Gebühr noch billig ist, eine um 28 % oder 30 % erhöhte Gebühr dagegen nicht mehr. Allerdings stellt sich die Frage, ob, gerade aufgrund der Einführung des RVG, der Toleranzbereich erweitert werden darf. Bei den straf- und bußgeldrechtlichen Angelegenheiten ist dies nicht zu rechtfertigen. Denn das Verhältnis von Höchst- zu Mindestgebühr, also die Spannweite des Gebührenrahmens, hat sich durch die Einführung des RVG im Vergleich zur BRAGO nicht wesentlich verändert. Zwar ist das Gebührensystem – insbesondere in Bußgeldsachen – weitgehend neu gestaltet worden. Die maßgeblichen Betragsrahmengebühren weisen jedoch in ihrer Spannweite keine relevanten Unterschiede auf.
Rz. 118
Bei den zivil- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten kann zwar im Hinblick auf die Satzrahmengebühr des VV 2300 eine erhebliche Erweiterung des Gebührenrahmens festgestellt werden. Jungbauer lehnt eine daraus abgeleitete Erweiterung des Toleranzbereiches dennoch aus dem Grund ab, dass sich dieser nicht auf den Rahmen beziehe, sondern vielmehr auf die vom Anwalt nach seinem Ermessen festgelegte Gebühr. Dem ist zuzustimmen, da es beim Toleranzbereich um die Frage geht, wie stark die vom Anwalt aus einem Rahmen bestimmte Gebühr von einer Gebühr abweichen darf, die ein Gericht bei obj...