Rz. 259

Problematisch wird die Anrechnung, wenn der Auftrag zur außergerichtlichen Tätigkeit vor Inkrafttreten des RVG erteilt worden ist, der Klageauftrag aber danach. Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr nach altem Recht auf eine Verfahrensgebühr nach neuem Recht ist umstritten. Nach § 118 Abs. 2 BRAGO war eine Anrechnung in voller Höhe vorzunehmen. Dagegen bestimmt die Regelung in Abs. 4 eine Anrechnung nur i.H.v. 50 %, maximal mit einem Gebührensatz von 0,75. Welchem Recht die Anrechnung der Gebühren zu folgen hat, die teilweise nach der BRAGO und teilweise nach dem RVG entstanden sind, ist im Gesetz nicht geregelt. Die §§ 60, 61 behandeln nur die Frage, welche Vergütungsvorschriften anzuwenden sind.

 

Rz. 260

Überwiegend wird vertreten, dass sich die Anrechnungsvorschrift nach dem Recht derjenigen Gebühr richtet, die angerechnet werden soll.[307] Für diese Ansicht spricht zunächst der Wortlaut der Abs. 4. Es ist nämlich nur von der Anrechnung einer "Geschäftsgebühr nach VV Teil 2" die Rede, nicht jedoch von sonstigen Gebühren, beispielsweise einer Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO. Weiter sprechen Vertrauensgesichtspunkte für die volle Anrechnung: Der Mandant hat noch zu Zeiten der Geltung der BRAGO ein sog. Anrechnungsguthaben erworben, welches ihm durch eine Gesetzesänderung nicht mehr genommen werden kann. Schließlich sind bei der Frage, welche Vorschrift anzuwenden ist, auch Sinn und Zweck der neuen Anrechnungsregel zu beachten. Der Gesetzgeber hat die Anrechnung auf 50 % reduziert, weil nach dem RVG die Geschäftsgebühr einen deutlich höheren Rahmen aufweist als früher. Während nämlich nach der BRAGO eine Geschäftsgebühr im Regelfall von 7,5/10 entstand und diese voll auf die Prozessgebühr angerechnet wurde, kann diese Gebühr nach dem RVG aus einem Rahmen von 0,5 bis 2,5 entstehen. Wäre der Gesetzgeber bei der vollen Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr geblieben, hätte er dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass es im RVG keine eigenständigen Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühren gibt, die unter der Geltung der BRAGO von einer Anrechnung ausgeschlossen waren. Mit der Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO ist aber die Einarbeitung des Anwalts in das Mandat abgegolten, die im nachfolgenden Gerichtsverfahren nicht noch zusätzlich vergütet werden sollte.

 

Rz. 261

Die Besprechungsgebühr und die Geschäftsgebühr aus einem behördlichen Verfahren unterliegen infolge der Anwendung von § 118 Abs. 2 BRAGO keiner Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach RVG.[308]

[307] OLG München AGS 2005, 344 m. Anm. N. Schneider; OLG Oldenburg JurBüro 2008, 643; AG Freiburg AGS 2005, 71 m. Anm. N. Schneider; Madert, AGS 2005, 2, 5; N. Schneider, AGS 2005, 49; Mock, RVG-B 2004, 87; Volpert, RVGprof. 2004, 154; Wolf, JurBüro 2004, 365; Goebel, RVG-B 2004, 56; Hansens, RVGreport 2004, 242; a.A.: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Jungbauer RVG, § 61 Rn 111.
[308] Madert, AGS 2005, 2, 5.

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