Rz. 15

Die Vorschriften der Anm. zu VV 4300 und Anm. zu VV 4301 durchbrechen den in VV Vorb. 4.3 Abs. 3 S. 1 aufgestellten Grundsatz, dass jede Einzeltätigkeit nach VV 4300 ff. eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 darstellt. Die Einlegung der Berufung oder Revision sowie ihre Begründung gelten zusammen als eine einzige Angelegenheit. Der Anwalt, der mit beiden Angelegenheiten beauftragt ist, erhält also insgesamt nur die Vergütung nach VV 4301 Nr. 2 (Berufung) oder nach VV 4300 Nr. 1 (Revision).

 

Rz. 16

Unerheblich dabei ist, ob dem Anwalt von vornherein der Auftrag erteilt worden war, die Berufung oder Revision einzulegen und später zu begründen oder ob zwei Aufträge zugrunde liegen. Wird der Anwalt von vornherein mit der Einlegung und Begründung der Berufung oder Revision beauftragt, liegt von vornherein nur ein Auftrag nach VV 4301 Nr. 2 (Berufung) oder VV 4300 Nr. 1 (Revision) vor.

 

Rz. 17

Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn der Anwalt zunächst den Auftrag hatte, die Berufung oder Revision einzulegen und er später einen gesonderten Auftrag zu ihrer Begründung erhalten hat. Zwar ist zunächst für die Einlegung des Rechtsmittels nur eine Gebühr nach VV 4302 Nr. 1 entstanden. Diese Gebühr erstarkt dann aber gemäß § 15 Abs. 5 durch den weiteren Auftrag, das Rechtsmittel auch zu begründen, zu einer Gebühr nach VV 4301 Nr. 2 (Berufung) oder VV 4300 Nr. 1 (Revision). Unzutreffend ist daher die Auffassung von Hansens,[8] der die Gebühren aufeinander anrechnen will. Das würde nämlich voraussetzen, dass es sich um zwei Angelegenheiten handelt, was nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift aber gerade nicht der Fall ist. Insbesondere fällt die Postentgeltpauschale (VV 7002) daher auch nur einmal an, und eine zwischenzeitliche Änderung des Gebührenrechts zwischen Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels und seiner Begründung ist unerheblich (§§ 60, 61).

 

Rz. 18

Die Mehrtätigkeit, die durch das Einlegen des Rechtsmittels entsteht, kann gegenüber dem bloßen Auftrag zur Begründung des Rechtsmittels nach § 14 Abs. 1 Gebühren erhöhend zu berücksichtigen sein.

 

Rz. 19

Die Vorschriften der Anm. zu VV 4300 und Anm. zu VV 4301 gelten sowohl für die Berufung oder Revision zugunsten des Verurteilten durch den Verteidiger als auch für die Berufung oder Revision des Beistands oder Vertreters eines Privat- oder Nebenklägers oder eines sonstigen Beteiligten i.S.d. VV Vorb. 4 Abs. 1.

 

Rz. 20

Anm. zu VV 4300, Anm. zu VV 4301 gelten dagegen nicht, wenn der Anwalt mit der Einlegung der Berufung oder Revision beauftragt ist und mit der Gegenerklärung zu einem von der Gegenseite eingelegten Rechtsmittel.

 

Beispiel: Der Anwalt wird von dem Nebenkläger beauftragt, gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einzulegen. Nachdem auch der Verurteilte Berufung eingelegt hat, wird der Anwalt beauftragt, zur Berufung des Verurteilten Stellung zu nehmen.

Es liegen zwei Aufträge und zwei Angelegenheiten vor. Die Vorschriften der Anm. zu VV 4300 und Anm. zu VV 4301 greifen nicht. Der Anwalt erhält für die Einlegung der Berufung des Nebenklägers die Gebühr nach VV 4302 Nr. 1 und für die Erwiderung auf die Berufung des Verurteilten die Gebühr nach VV 4301 Nr. 2.

 

Rz. 21

Auf Beschwerdeverfahren sind die Anm. zu VV 4300 und Anm. zu VV 4301 nicht entsprechend anwendbar. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des VV 4302, der in Nr. 1 von der Einlegung eines "Rechtsmittels" (wozu auch die Beschwerde gehört) spricht, während in VV 4300 Nr. 1 und VV 4301 Nr. 2 nur von "Berufung" und "Revision" die Rede ist.

 

Rz. 22

Wird der Anwalt nicht nur mit der Erhebung der Beschwerde, sondern auch gleichzeitig mit deren Begründung beauftragt, so liegt nur eine Angelegenheit nach VV 4300 Nr. 1 und VV 4301 Nr. 2 vor. Die Mehrarbeit ist gegebenenfalls nach § 14 Abs. 1 zu berücksichtigen.[9]

 

Rz. 23

Erhält der Anwalt dagegen zunächst nur den Auftrag, Beschwerde einzulegen und wird er erst später mit ihrer Begründung beauftragt, so erhält er neben der Gebühr nach VV 4302 Nr. 1 auch die der VV 4302 Nr. 2. Insgesamt erhält er jedoch nicht mehr als eine Gebühr aus der jeweiligen Verfahrensgebühr eines Verteidigers (§ 15 Abs. 6).

 

Beispiel: Der Anwalt wird beauftragt, eine Beschwerde gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis einzulegen. Nachdem das AG der Beschwerde nicht abhilft, sondern sie dem LG vorlegt, wird der Anwalt beauftragt, eine Beschwerdebegründung anzufertigen.

Es liegen zwei verschiedene Aufträge und damit zwei Angelegenheiten i.S.d. § 15 vor. Der Anwalt kann nach § 15 Abs. 6 jedoch insgesamt nicht mehr als eine volle Gebühr aus dem Rahmen der VV 4104 erhalten.

[8] Hansens, BRAGO, § 92 Rn 2.
[9] Hansens, BRAGO, § 92 Rn 2.

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