a) Gegenseitiger Vertrag
Rz. 35
Eine Einigungsgebühr entsteht nur dann, wenn zwischen den Parteien ein gegenseitiger Vertrag abgeschlossen wird. Dieser Vertrag muss nicht notwendigerweise mit der Gegenpartei geschlossen werden. Die Einigung kann auch mit einem Dritten geschlossen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Dritte kraft vertraglicher oder gesetzlicher Ermächtigung berechtigt ist, für einen der unmittelbar Beteiligten eine Einigung abzuschließen.
Beispiel: Der Privathaftpflichtversicherer des Schädigers schließt mit dem Geschädigten eine Abfindungsvereinbarung, wonach dieser gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages auf weiter gehende Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer verzichtet.
Rz. 36
Auch dann, wenn der Dritte keine Vertretungsmacht für den Gegner hat, kann der Abschluss einer Einigung in Betracht kommen.
Beispiel: Nach einer Gehaltspfändung bietet der Arbeitgeber an, gemäß § 267 Abs. 1 S. 1 BGB für den Arbeitnehmer zwei Drittel der Gesamtforderung zu zahlen, wenn der Gläubiger dafür auf den Rest seiner Forderung verzichtet und sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen zurücknimmt.
Die Einigung ist zwischen Gläubiger und Arbeitgeber zustande gekommen. Der Anwalt erhält die Gebühr nach VV 1000.
Rz. 37
An den Abschluss eines gegenseitigen Vertrages sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Vertrag kann auch durch schlüssiges Handeln zustande kommen. Einer ausdrücklichen Angebots- und Annahmeerklärung bedarf es nicht.
Beispiel: Der Anwalt macht für seinen Mandanten Schadensersatzansprüche aus einem Reisevertrag geltend. Der Versicherer des Reiseveranstalters bestreitet die Reisemängel und schickt einen Verrechnungsscheck i.H.v. 300 EUR mit der Maßgabe, dass sämtliche eventuellen Ersatzansprüche bei Einlösung des Schecks abgegolten sein sollen. Der Mandant ist einverstanden und zieht den Scheck ein.
Der Einigungsvertrag ist durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen. Auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung hat der Versicherer verzichtet (§ 151 BGB).
Rz. 38
Einer besonderen Form bedarf die Einigung grundsätzlich nicht, es sei denn, eine solche Form ist gesetzlich vorgeschrieben (im Einzelnen siehe dazu Rdn 47 ff.).
Rz. 39
Nicht erforderlich ist es, dass die Parteien die Einigung auch als solche bezeichnen. Es kommt nicht auf die Bezeichnung an, sondern allein auf den Inhalt. So liegt auch dann eine Einigung vor, wenn der Beklagte erklärt, ein mangelhaftes Werk zurückzugeben, und der Kläger erklärt, nach fristgerechter Rückgabe die Klage auf Zahlung des Werklohns zurückzunehmen, auch wenn das Gericht die Erklärung der Parteien bewusst nicht als Vergleich oder Einigung protokolliert hat, weil diese Vereinbarung nach seiner Auffassung keinen vollstreckbaren Inhalt habe. Umgekehrt liegt nicht schon dann eine Einigung vor, wenn die Parteien sie als solche oder gar als Vergleich bezeichnen.
Rz. 40
Kein gegenseitiger Vertrag liegt vor, wenn eine Partei lediglich einseitig die Forderung der Gegenseite anerkennt (vgl. Rdn 81).
Rz. 41
Umstritten war, ob in Verfahren über die elterliche Sorge und das Umgangsrecht eine Einigungsgebühr anfallen konnte.
Rz. 42
Zum Teil wurde die Auffassung vertreten, eine Einigungsgebühr könne nicht anfallen, da die Parteien weder endgültig noch verbindlich über das Sorge- und das Umgangsrecht verfügten und somit keinen verbindlichen Vertrag hierüber schließen könnten. Es sei ihnen lediglich möglich, übereinstimmende Vorschläge zu unterbreiten, denen das Gericht folgen könne. Dies reiche aber noch nicht für eine Einigung i.S.d. Anm. Abs. 1 aus.
Die ganz h.M. gewährte demgegenüber schon nach der BRAGO sowohl bei einer Einigung über das Umgangs- als auch über das Sorgerecht eine Vergleichsgebühr. Auch wenn die Parteien letztlich über das Sorgerecht keine verbindliche vertragliche Regelung treffen können, beseitigt eine Einigung über das Sorge- und Umgangsrecht ebenso einen gegenseitigen Streit wie eine Entscheidung des Gerichts.
Rz. 43
Da das Gericht grundsätzlich auch nicht von dem übereinstimmenden Willen der Eltern abweichen darf, sprach schon jeher alles dafür, die Bemühungen des Anwalts um eine solche Einigung entsprechend zu honorieren. Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber auf diese Streitfrage reagiert. Mit dem FGG-ReformG hat er durch die Anm. Abs. 5 S. 3 klargestellt, dass für die beteiligten Anwälte eine Einigungsgebühr entsteht, wenn eine einvernehmliche Regelung zur elterlichen Sorge erzielt wird.
Rz. 44
Eine förmliche Protokollierung der Vereinbarung zum Umgangs- oder Sorgerecht ist nicht erforderlich.
Rz. 45
Eine materiell-rechtliche Einigung ist ebenfalls nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass die Parteien bei gegenseitigem Nachgeben eine das Verfahren beendende Vereinbarung und eine Kostenregelung treffen (zu Einzelfällen im Übrigen siehe Rdn 76 ff.).
Rz. 46
Eine Einigung abgelehnt hat das OLG Karlsruhe für den Fall, dass der Rechtsanwalt dabei mitwirkt, dass sich die Eltern nach streitigem Verfahren mit dem Jugendamt über die Unterbringung e...