Lotte Thiel, Ass. jur. Sabrina Reckin
Rz. 21
Um die einzelnen Umstände vor Gericht darlegen zu können, die zur Bestimmung der konkreten Gebühr aus dem Rahmen von VV 2300 erforderlich sind, empfiehlt sich die Anfertigung von Aktennotizen nach jeder Besprechung mit dem Mandanten. Denn nach Abschluss eines Mandates ist es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sämtliche Einzelheiten zu rekonstruieren, die die Angelegenheit überdurchschnittlich umfangreich oder schwierig gemacht haben. Für die Darlegung des zeitlichen Umfangs bietet sich die Anfertigung eines Timesheets an, um im Nachhinein diesen konkret beziffern zu können. Die einzelnen Umstände, die zur Bestimmung der konkreten Gebühr führten, sollten zudem bereits kurz mit der Rechnung dargelegt werden, um die Ausübung des Ermessens erkennbar zu machen und den Eindruck zu vermeiden, dass die Höhe pauschal angesetzt wurde. Auch kann darüber nachgedacht werden, jedes einzelne Kriterium gesondert zu bewerten, um so dem oft pauschalen und ohne jegliche Begründung erhobenen Einwand des Erstattungspflichtigen, die Gebühr sei unbillig, die Grundlage zu entziehen.
Rz. 22
Da die Merkmale "Umfang" und "Schwierigkeit" im Rahmen des § 14 Abs. 1 einen besonderen Stellenwert einnehmen, empfiehlt sich der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung insbesondere in den Fällen, in denen diese Merkmale nur durchschnittlich, andere Merkmale jedoch überdurchschnittlich sind. Prägnantestes Beispiel ist hier der wohlhabende Mandant, der in einer für ihn sehr bedeutungsvollen Angelegenheit vertreten werden will, ohne dass die Sache als umfangreich oder schwierig bezeichnet werden kann. Dass die Merkmale "Einkommens- und Vermögensverhältnisse" sowie "Bedeutung der Angelegenheit" überdurchschnittlich sind, würde aufgrund des Schwellenwertes eine höhere Gebühr als 1,3 nicht rechtfertigen können.
Rz. 23
Häufig diskutiert wird seit Geltung des RVG die Frage, wie die außergerichtliche Schadenregulierung bei Verkehrsunfällen zu vergüten ist. Aufgrund des Auslaufens der Regulierungsempfehlungen (sog. DAV-Abkommen) bei Inkrafttreten des RVG war eine recht intensive Diskussion zwischen Versicherern und Anwaltschaft um die Frage entstanden, ob die Regulierung eines "üblichen" Verkehrsunfalls generell mit einer 1,3-Geschäftsgebühr abgerechnet werden kann, ohne dass die Umstände des Einzelfalls dargelegt werden müssen. Unter Berufung auf die Ansicht von Braun, wonach es bei nur durchschnittlich umfangreichen bzw. schwierigen Sachen einen zweiten Gebührenrahmen von 0,5 bis 1,3 gebe, haben viele Haftpflichtversicherer lediglich eine aus diesem Rahmen berechnete Mittelgebühr von 0,9 erstattet und hinsichtlich des Restbetrages Klage anheim gestellt. Die inzwischen fast unübersehbare Menge amtsgerichtlicher Urteile zu dieser Frage zeigt, dass sich eine Vielzahl von Anwälten mit dieser Vorgehensweise nicht abfinden wollte. Zeitweise hatte sich die Situation insofern teilweise entschärft, als einige Versicherer Abrechnungsgrundsätze geboten haben, die von Gebührensätzen zwischen 1,8 und 2,7 bzw. zwischen 1,5 und 2,25 ausgegangen sind. Inzwischen haben jedoch alle Versicherer von einer Abrechnung nach Abrechnungsgrundsätzen bei Kfz-Haftpflichtschäden Abstand genommen und bieten diese nicht mehr an. Die Gebühr ist daher wieder in jedem Einzelfall nach Maßgabe des § 14 zu bestimmen.
Rz. 24
Es ist daher zu vermuten, dass es wieder verstärkt Streit um die Höhe der Geschäftsgebühr bei Abrechnung einer außergerichtlichen Unfallschadenregulierung gibt zumal auch die Rechtsschutzversicherer immer wieder die vom Rechtsanwalt bestimmte Geschäftsgebühr beanstanden. Für die Praxis ist daher Folgendes zu beachten:
Soweit die Gerichte teilweise eine in Rechnung gestellte Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 unbeanstandet lassen, nur weil sich die Tätigkeit auf einen Verkehrsunfall bezog, wird dies im Wesentlichen mit zwei Argumenten begründet. Einmal wird darauf abgestellt, dass Verkehrsunfälle ein Massenphänomen sind und daher im Interesse einer einfachen und praktikablen Handhabung die 1,3-Geschäftsgebühr im Wege der Schematisierung anzusetzen sei. Zum anderen wird auf die Entwicklung der neuen Gebührentatbestände abgestellt. Da der Anwalt durch den Übergang von den Gebühren des § 118 BRAGO auf die Geschäftsgebühr VV 2300 in der Gesamtbetrachtung keine Gebührenminderung erleiden sollte, müsse der Wegfall von Gebührentatbeständen (Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühr) im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ausgeglichen werden.
Rz. 25
Für den schematischen Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr bei der Unfallregulierung überzeugt keine dieser Begründungen. Die Regelung zur Bestimmung der Rahmengebühr in § 14 Abs. 1 basiert auf einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Warum gerade die Abwicklung von Verkehrsunfällen – mögen sie auch ein Massenphänomen darstellen – diesem Abwägungsgebot nicht unterfallen soll, ist nicht ersichtlich. Eine solche Schematisierung sieht § 14 Abs. 1 nicht vor. Die weiter aufgestellte These, die Abwicklung eines Verkehrs...