I. Anrechnung der Geschäftsgebühr, VV Vorb. 3 Abs. 4
Rz. 12
War der Rechtsanwalt in dem Nachprüfungsverfahren (Widerspruchsverfahren) tätig, welches zu dem Widerspruchsbescheid geführt hat, auf welchen sich seine weitere Tätigkeit im Klageverfahren bezieht, so erhält der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Klageverfahren keine Verfahrensgebühr mehr, die sich nach einem niedrigeren Gebührenrahmen bemisst. Es gibt nur noch eine einheitliche Verfahrensgebühr unabhängig von einer Vorbefassung. Dafür ist in VV Vorb. 3 Abs. 4 nunmehr vorgesehen, dass die Geschäftsgebühr für das vorherige Verwaltungsverfahren zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des Gerichtsverfahrens anzurechnen ist. Nach S. 2 ist die hälftige Anrechnung auf 207 EUR begrenzt. Nur bis zu einer Verfahrensgebühr von 414 EUR findet eine Anrechnung statt. Ein darüber hinaus gehender Betrag bleibt anrechnungsfrei.
Rz. 13
Bei der Bemessung der Verfahrensgebühr darf innerhalb des Rahmens nicht (noch einmal) berücksichtigt werden, dass der Umfang der Tätigkeit wegen der Vorbefassung geringer ist – § 14 Abs. 2. Zuvor war dies in VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 4 a.F. geregelt.
Beispiel: Anrechnung der Verfahrensgebühr im Widerspruchsverfahren
Der Anwalt wird im Widerspruchsverfahren vor der Behörde beauftragt. Gegen den Widerspruchsbescheid der Behörde erhebt er Klage. Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren sind umfangreich und schwierig, allerdings durchschnittlich.
Der Anwalt erhält im Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr nach VV 2302 Nr. 1 (§ 17 Nr. 1a). Auszugehen ist wegen Umfang und Schwierigkeit jeweils von der Mittelgebühr.
Die Vorbefassung im Widerspruchsverfahren darf nicht Gebühren mindernd berücksichtigt werden (§ 14 Abs. 1), die Geschäftsgebühr ist aber hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (Abs. 4 S. 1).
I. Widerspruchsverfahren
1. |
Geschäftsgebühr, VV 2302 Nr. 1 |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
II. Klageverfahren
1. |
Verfahrensgebühr, VV 3102 |
|
360,00 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 1 anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
173,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
32,87 EUR |
Gesamt |
|
205,87 EUR |
II. Anrechnung bei mehreren Auftraggebern
Rz. 14
Vertritt der Rechtsanwalt mehrere Auftraggeber, kommt es nach VV 1008 zu einer Erhöhung des Gebührenrahmens. Die Erhöhung gilt aber nicht für die Begrenzung des Anrechnungsbetrages auf 207 EUR. Dies stellt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich klar. Dort heißt es:
Zitat
"Mangels einer ausdrücklichen Regelung dürfte sich damit auch eine andere Streitfrage klären, nämlich die Frage, ob sich die Höchstgrenze für die Anrechnung (VV Vorb. 3 Abs. 4) bei mehreren Auftraggebern erhöht. Da hierfür keine entsprechende Regelung in das Gesetz eingefügt werden soll, wird klar, dass sich dieser Betrag nicht erhöhen soll. Sinn der Höchstgrenze ist es, ein Mehr an Umfang und Schwierigkeit der außergerichtlichen Tätigkeit auch nach einer Anrechnung angemessen zu entgelten. Erhöht man die Anrechnungsgrenze auch bei mehreren Auftraggebern, würde dem Anwalt durch die Anrechnung gerade die für die Mehrarbeit zusätzlich angefallene Gebühr wieder entzogen."
Beispiel: Anrechnung der Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern
Der Anwalt ist von einer aus vier Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft sowohl im Widerspruchsverfahren als auch im Klageverfahren beauftragt worden. Auszugehen ist von der Schwellengebühr, im Klageverfahren von der Mittelgebühr.
Die Schwellengebühr erhöht sich um 90 % und beträgt somit 682,10 EUR. Die Verfahrensgebühr erhöht sich ebenfalls auf 684 EUR. Die Geschäftsgebühr ist gemäß Vorb. 3 Abs. 4 S. 1 zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, höchstens jedoch mit 207 EUR (Abs. 4 S. 2).
Abzurechnen ist wie folgt:
I. Widerspruchsverfahren
1. |
Geschäftsgebühr, VV 2303 Nr. 1 |
|
359,00 EUR |
2. |
Erhöhung, VV 1008 (359 EUR x 0,3 x 3) |
|
323,10 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
702,10 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
133,40 EUR |
Gesamt |
|
835,50 EUR |
II. Klageverfahren
1. |
Verfahrensgebühr, VV 3102 |
|
360,00 EUR |
2. |
Erhöhung, VV 1008 (360 EUR x 0,3 x 3) |
|
324,00 EUR |
3. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 2 anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
497,00 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
94,43 EUR |
Gesamt |
|
591,43 EUR |
III. Anrechnung Eilverfahren
Rz. 15
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr für eine Vertretung im Widerspruchsverfahren auf die Verfahrensgebühr für das Eilverfahren nach VV Vorb. 3 Abs. 4 ist grundsätzlich nicht vorzunehmen. Die Tätigkeit in einem Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren geht der Angelegenheit im Eilrechtsschutz nicht vor. Anzurechnen wäre nur dann, wenn es sich um denselben Streitgegenstand handelt. Dies ist beim einstweiligen Anordnungsverfahren im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren nicht der Fall, denn im Gegensatz zum Hauptsacheverfahren geht es beim einstweiligen Rechtsschutzverfahren um die Regelung e...