Rz. 83
Im Gegensatz zur Einstellung ist die Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl fristgebunden. Es ist danach zu differenzieren, ob ein Termin zur Hauptverhandlung bereits anberaumt war oder nicht:
aa) Termin zur Hauptverhandlung war noch nicht anberaumt
Rz. 84
War die Hauptverhandlung noch nicht terminiert, so löst die Rücknahme unter Mitwirkung des Verteidigers immer die Zusätzliche Gebühr nach Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 aus. Die frühere Streitfrage, ob eine Gebührenerhöhung auch dann eintritt, wenn noch gar kein Termin anberaumt war, hat sich bereits seit längerem erledigt.
bb) Termin zur Hauptverhandlung war anberaumt
Rz. 85
War bereits ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, so muss die Rücknahme zwei Wochen vor dem Beginn des Tages, für den die Hauptverhandlung vorgesehen war, erklärt worden sein. Entscheidend für die Wahrung der Frist ist der Eingang bei Gericht, nicht die Abgabe der Rücknahmeerklärung.
Rz. 86
Unerheblich ist, ob und wann der Anwalt von dem anberaumten Hauptverhandlungstermin Kenntnis erlangt hat. Die gesetzliche Regelung ist insoweit eindeutig. Würde man darauf abstellen, wann der Betroffene oder sein Verteidiger Kenntnis erlangen, wäre die Vorschrift nicht mehr praktikabel. Auch die Auffassung von Schmitt, es könne im Falle der Fristversäumung eine Wiedereinsetzung beantragt werden, ist abzulehnen. Bei der Frist der Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 handelt es sich nicht um eine Notfrist.
Rz. 87
Die Berechnung der sog. "Zwei-Wochen-Frist" bereitetet in der Praxis Schwierigkeiten. Schon im Normalfall bestehen unterschiedliche Auffassungen, wie die sog. "Zwei-Wochen-Frist" zu berechnen ist.
Beispiel: Nach Einspruch gegen den Strafbefehl hatte das AG Köln Termin zur Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 19.8.2020, bestimmt. Der Verteidiger sollte den Einspruch vor der Hauptverhandlung zurücknehmen.
Rz. 88
Die Rücknahme musste also
▪ |
früher als zwei Wochen |
▪ |
vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, |
zurückgenommen worden sind.
Wäre der Einspruch erst am Donnerstag, den 6.8.2020, oder noch später zurückgenommen worden, wäre die sog. "Zwei-Wochen-Frist" auf keinen Fall mehr gewahrt gewesen. Eine Zusätzliche Gebühr wäre nicht angefallen.
Auch eine Rücknahme am Mittwoch, den 5.8.2020, hätte nicht ausgereicht, da sie "früher" als zwei Wochen "vor" dem Tage der Hauptverhandlung hätte erklärt werden müssen.
Wäre der Einspruch bis einschließlich Montag, den 3.8.2020, zurückgenommen worden, wäre die "Frist" von mehr als zwei Wochen bis zum Hauptverhandlungstermin auf jeden Fall gewahrt gewesen. Die Zusätzliche Gebühr wäre angefallen.
Problematisch wäre es geworden, wenn der Einspruch am Dienstag, den 4.8.2020, zurückgenommen worden wäre.
Rz. 89
Hartung und Houben gehen offenbar von einer echten Frist i.S.d. Gesetzes aus. Nach ihrer Auffassung soll § 43 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden sein. Die "Zwei-Wochen-Frist" der VV 4141 würde danach mit Ablauf des Tages der zweiten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat, enden. Damit ist aber noch nicht gesagt, wann die Frist beginnt. Das wäre noch zu ermitteln.
Rz. 90
Ausgangspunkt für die Berechnung gesetzlicher Fristen ist § 186 BGB. In den §§ 187 ff. BGB findet sich eine dem § 43 Abs. 1 StPO vergleichbare Regelung, nämlich in § 188 Abs. 2 BGB. Insoweit ergibt sich also kein Widerspruch. Für den Beginn einer Frist nimmt diese Vorschrift Bezug auf § 187 BGB. Danach ergäbe sich für das Beispiel folgendes: Die sog. "Zwei-Wochen-Frist" wäre ausgelöst worden durch den Eingang der Rücknahme bei Gericht, also durch ein Ereignis. Damit wäre auf § 187 Abs. 1 BGB abzustellen. Wäre der Einspruch am Dienstag, den 4.8.2020, zurückgenommen worden, würde dieser Tage gemäß § 187 Abs. 1 BGB nicht mitgerechnet. Die Zwei-Wochen-Frist hätte also am Mittwoch, den 5.8.2020, begonnen und hätte am Dienstag, den 18.8.2020, geendet. Das wäre der Tag vor Beginn der Hauptverhandlung. Nun reicht es aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut VV 4141 nicht aus, wenn der Einspruch zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen wird. Erforderlich sind mehr als zwei Wochen. Folglich hätte die Rücknahme am 4.8.2020 danach nicht ausgereicht. Sie hätte vielmehr spätestens am 3.8.2020 erklärt werden müssen, also volle 15 Tage vor der Hauptverhandlung.
Rz. 91
Diese Berechnung und ihre Begründung dürften jedoch unzutreffend sein. Die Vorschriften der §§ 46 StPO, 186 ff. BGB sind unergiebig, da sie von einer "Frist" ausgehen. Damit haben wir es in den VV 4141 aber gar nicht zu tun. Unter einer Frist versteht man einen abgegrenzten, also bestimmt bezeichneten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum, innerhalb dessen gehandelt werden soll. Die Rücknahme soll nach VV 4141 jedoch nicht innerhalb einer Frist vorgenommen werden. Die Erklärung darf vielmehr – wenn sie Gebühren auslösen soll – nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums erklärt werden, nämlich nicht innerhalb der zwei Wo...