1. Derselbe Anwalt
Rz. 42
Voraussetzung für eine Anrechnung ist zunächst, dass derselbe Anwalt, der im erstinstanzlichen Adhäsionsverfahren tätig war, auch im nachfolgenden Zivilrechtsstreit beauftragt wird.
2. Art des Auftrags im nachfolgenden Verfahren
Rz. 43
Der Anwalt im Zivilverfahren muss nicht mehr als Prozessbevollmächtigter tätig werden – so aber noch § 89 BRAGO. Der Wortlaut der neuen Anrechnungsbestimmung ist weiter gefasst als der der BRAGO. Dies ist auch richtig. Anderenfalls könnte der mit einer Einzeltätigkeit im Zivilprozess beauftragte Anwalt mehr verdienen als der Prozessbevollmächtigte.
Rz. 44
Die Anrechnungsbestimmung gilt also nicht nur für den Prozessbevollmächtigten, sondern u.a. auch für den Korrespondenzanwalt (VV 3400), den Terminsvertreter (VV 3401) oder den mit einer Einzeltätigkeit nach VV 3403 beauftragten Anwalt, insbesondere auch den Anwalt im Mahnverfahren (VV 3309); der Begriff Rechtsstreit ist nicht zu wörtlich zu nehmen.
3. Derselbe Antragsteller
Rz. 45
Der Antragsteller muss identisch sein. Unschädlich ist allerdings eine Rechtsnachfolge, etwa wenn der Verletzte verstirbt und sein Erbe die Ansprüche vor dem Zivilgericht weiterverfolgt.
4. Derselbe Gegenstand
Rz. 46
Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Zivilverfahren muss derselbe sein wie im Adhäsionsverfahren. Hierzu zählen folgende Fälle:
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Das Gericht sieht im Adhäsionsverfahren gemäß § 405 StPO von einer Entscheidung ab; derselbe Anspruch wird im Zivilverfahren anschließend nochmals geltend gemacht. |
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Der Verletzte oder sein Erbe nimmt den Antrag im Adhäsionsverfahren zurück (§ 404 Abs. 4 StPO) und macht die Ansprüche anschließend im Zivilverfahren geltend. |
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Das Strafgericht entscheidet gemäß § 405 StPO nur über den Grund des Anspruchs, so dass zur Höhe Klage vor dem Zivilgericht erhoben wird. |
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Die Parteien einigen sich nur über den Grund oder die Haftungsquote der Ersatzforderung, so dass zur Höhe Klage vor dem Zivilgericht erhoben wird. |
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Der Strafrichter entscheidet gemäß § 405 StPO nur über einen Teil der geltend gemachten Forderungen; soweit nicht entschieden wird, erhebt der Verletzte oder sein Erbe Klage von dem Zivilgericht. Jetzt erfolgt allerdings nur eine Anrechnung nach dem betreffenden Teilwert. |
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Das Verfahren wird eingestellt, so dass es nicht zur Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche kommt und diese erneut vor dem Zivilgericht eingeklagt werden. |
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Es wird keine Anklage erhoben oder das Hauptverfahren wird nicht eröffnet, so dass es erst gar nicht zur Antragstellung kommt und die Ansprüche im Zivilverfahren eingeklagt werden müssen. |
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Der Angeklagte wird freigesprochen und der Antrag im Adhäsionsverfahren abgewiesen. Ungeachtet dessen macht der Verletzte seine Ansprüche im Zivilverfahren erneut geltend. |
Rz. 47
An "demselben Anspruch" fehlt es, wenn das Strafgericht über andere Ansprüche zu befinden hatte, als später im Zivilverfahren geltend gemacht werden.
Beispiel: Im Adhäsionsverfahren fordert der Verletzte Schmerzensgeld, im anschließenden Zivilrechtsstreit verlangt er Verdienstausfall.
Rz. 48
Ebenfalls fehlt es an "demselben Anspruch", wenn die Parteien im Adhäsionsverfahren eine Einigung schließen, die nicht protokolliert wird, die wegen eines Formmangels nicht vollstreckbar ist oder die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, und daraufhin die Ansprüche vor dem Zivilgericht nochmals eingeklagt werden. Gegenstand des Zivilrechtsstreits sind dann nicht die ursprünglichen Forderungen, sondern der Anspruch aus der Einigung, so dass keine Identität der Ansprüche vorliegt.
Rz. 49
An demselben Gegenstand fehlt es auch, wenn gegen die Entscheidung im Adhäsionsverfahren vor dem Zivilgericht Vollstreckungsgegenklage, etwa wegen einer zwischenzeitlichen Zahlung oder Aufrechnung erhoben wird.
5. Ausschluss nach § 15 Abs. 5 S. 2
Rz. 50
Eine Anrechnung unterbleibt nach § 15 Abs. 5 S. 2 ferner dann, wenn zwischen der Beendigung des Adhäsionsverfahrens und der Einleitung des Zivilverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre liegen.
6. Nur erstinstanzliche Gebühr
Rz. 51
Die Anrechnung gilt nur für die Gebühr der VV 4143. Nur die im ersten Rechtszug angefallene 2,0-Gebühr nach VV 4143 wird auf die Gebühren eines erstinstanzlichen Zivilverfahrens angerechnet. Gleiches gilt allerdings, wenn die Ansprüche erstmals im Berufungsverfahren geltend gemacht worden sind. Auch in diesem Fall ist die 2,0-Gebühr (Anm. Abs. 1 zu VV 4143) auf die Gebühren des erstinstanzlichen Zivilverfahrens anzurechnen.
Rz. 52
Die im Berufungs- oder Revisionsverfahren angefallene 2,5-Gebühr nach VV 4144 wird im Gegensatz zum früheren Recht dagegen nicht angerechnet, und zwar weder auf die Gebühren eines erstinstanzlichen zivilrechtlichen Verfahrens noch auf die eines zivilrechtlichen Rechtsmittelverfahrens.