I. Entstehungsgeschichte
Rz. 2
Mit dem KostRÄndG 1994 war in § 84 Abs. 2 BRAGO die sog. Befriedungsgebühr eingeführt worden. Die Vorschrift war sprachlich misslungen und ist dann später durch das JuMiG vom 18.6.1997 neugefasst worden. Danach erhielt der Verteidiger im Strafverfahren auch außerhalb der Hauptverhandlung bei einer nicht nur vorläufigen Einstellung des Verfahrens oder bei rechtzeitiger Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl die Gebühr des § 83 Abs. 1 BRAGO in voller Höhe. Nach dem bis zum 30.6.1994 geltenden Recht erhielt der Verteidiger jeweils nur eine halbe Gebühr nach §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 BRAGO. Der Gebührenrahmen hatte sich damit im Falle der Einstellung oder der Rücknahme des Strafbefehls infolge der Gesetzesänderung verdoppelt. Diese Regelung war über § 105 Abs. 1 BRAGO auch im Bußgeldverfahren entsprechend anzuwenden, so dass sich auch hier die Gebühren nach § 105 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 84 Abs. 2 BRAGO auf eine volle Gebühr erhöhen konnten.
Rz. 3
Sinn und Zweck der Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO war es, für den Anwalt einen Gebührenanreiz zu schaffen, bereits frühzeitig daran mitzuwirken, dass eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Nach zuvor geltendem Recht stand sich der Anwalt nämlich besser, wenn das Verfahren erst in der Hauptverhandlung eingestellt wurde oder wenn er erst dort den Einspruch zurücknahm. Durch die Erhöhung seiner Gebühren außerhalb der Hauptverhandlung sollte der Verteidiger nach § 84 Abs. 2 BRAGO veranlasst werden, schon im Ermittlungsverfahren und im Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung intensiver und zeitaufwendiger daran mitzuwirken, dass es nicht mehr zur Hauptverhandlung kommen musste.
Rz. 4
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO auch im Bußgeldverfahren uneingeschränkt gelten. Eine besondere Regelung war nach seiner Meinung allerdings entbehrlich, da die Vorschriften des Sechsten Abschnitts der BRAGO im Bußgeldverfahren ohnehin entsprechend anwendbar sind. Hierbei hatte der Gesetzgeber allerdings übersehen, dass sich die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht ohne weiteres auf das Bußgeldverfahren übertragen ließ. Daher hatten sich zahlreiche Auslegungsprobleme ergeben, die jetzt aber weitgehend durch die Regelung in VV 5115 beseitigt worden sind.
II. Neue Regelung
Rz. 5
Die Regelung der VV 5115 sieht im Gegensatz zum früheren § 84 Abs. 2 BRAGO keine Erhöhung des Gebührenrahmens vor, sondern gewährt eine zusätzliche Festgebühr. Bei vorzeitiger Erledigung erhält der Anwalt eine Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensmittelgebühr. Es besteht also hinsichtlich dieser Gebühr kein Ermessensspielraum nach § 14 Abs. 1 (str.; siehe Rdn 104 ff.).
Rz. 6
Die früheren Streitfragen sind jetzt weitgehend geregelt. Die zusätzliche Vergütung kann der Anwalt in jedem Verfahrensabschnitt erhalten. Insbesondere reicht es aus, wenn der Anwalt im vorbereitenden Verfahren bereits den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zurücknimmt. Darüber hinaus erhält der Anwalt die zusätzliche Vergütung jetzt auch im Rechtsbeschwerdeverfahren, und zwar sowohl bei Rücknahme der Rechtsbeschwerde als auch bei Einstellung im Rechtsbeschwerdeverfahren. Früher fehlte eine entsprechende Regelung, da § 86 Abs. 3 BRAGO keine Verweisung auf § 84 Abs. 2 BRAGO enthielt.
III. Anwendbarkeit der VV 5115
1. Überblick
Rz. 7
Die Vorschrift der VV 5115 ist im Bußgeldverfahren in sämtlichen drei Verfahrensabschnitten anzuwenden, also:
▪ |
im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde, einschließlich des Verwarnungsverfahrens und des Zwischenverfahrens (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht (VV Vorb. 5.1.2 Abs. 1) – Unterabschnitt 2, |
▪ |
im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren – Unterabschnitt 3, |
▪ |
im Rechtsbeschwerdeverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Zulassung der Rechtsbeschwerde – Unterabschnitt 4. |
Rz. 8
Das gilt selbstverständlich auch für ein Verfahren nach Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1) und für ein wiederaufgenommenes Verfahren.
Rz. 9
Im Wiederaufnahmeverfahren selbst wäre VV 5115 zwar anwendbar, scheidet dort jedoch tatbestandlich aus.
Rz. 10
Unerheblich ist, ob zuvor wegen derselben Tat ein Strafverfahren stattgefunden hat, das bereits eingestellt wurde (zu den Abrechnungsproblemen der strafrechtlichen Gebühren siehe VV 4141 Rdn 12 ff.).
2. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde einschließlich des Verwarnungsverfahrens und des Zwischenverfahrens (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht
Rz. 11
Die Anwendbarkeit des § 84 Abs. 2 BRAGO war im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem sich anschließenden Verfahren bis zum Eingang der Akten bei Gericht früher umstritten, da der frühere Wortlaut des § 105 BRAGO unklar war. Diese Unklarheit hatte der Gesetzgeber zunächst durch eine Änderung des § 105 BRAGO beseitigen wollen. Er hatte in § 105 Abs. 2 S. 3 BRAGO zuletzt ausdrücklich angeordnet, dass § 84 BRAGO entsprechend anzuwenden sei. Ungeachtet dessen wurde nach wie vor, vor allem von Rechtsschutzversicherern, regelmäßig in Abrede gestellt, dass die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO schon im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem sich anschließenden Verfahren anzuwenden sei.
Rz. 12
Diese Streitfrage ist ...