1. Überblick

 

Rz. 7

Die Vorschrift der VV 5115 ist im Bußgeldverfahren in sämtlichen drei Verfahrensabschnitten anzuwenden, also:

im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde, einschließlich des Verwarnungsverfahrens und des Zwischenverfahrens (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht (VV Vorb. 5.1.2 Abs. 1) – Unterabschnitt 2,
im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren – Unterabschnitt 3,
im Rechtsbeschwerdeverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Zulassung der Rechtsbeschwerde – Unterabschnitt 4.
 

Rz. 8

Das gilt selbstverständlich auch für ein Verfahren nach Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1) und für ein wiederaufgenommenes Verfahren.

 

Rz. 9

Im Wiederaufnahmeverfahren selbst wäre VV 5115 zwar anwendbar, scheidet dort jedoch tatbestandlich aus.

 

Rz. 10

Unerheblich ist, ob zuvor wegen derselben Tat ein Strafverfahren stattgefunden hat, das bereits eingestellt wurde (zu den Abrechnungsproblemen der strafrechtlichen Gebühren siehe VV 4141 Rdn 12 ff.).

2. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde einschließlich des Verwarnungsverfahrens und des Zwischenverfahrens (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht

 

Rz. 11

Die Anwendbarkeit des § 84 Abs. 2 BRAGO war im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem sich anschließenden Verfahren bis zum Eingang der Akten bei Gericht früher umstritten, da der frühere Wortlaut des § 105 BRAGO unklar war. Diese Unklarheit hatte der Gesetzgeber zunächst durch eine Änderung des § 105 BRAGO beseitigen wollen. Er hatte in § 105 Abs. 2 S. 3 BRAGO zuletzt ausdrücklich angeordnet, dass § 84 BRAGO entsprechend anzuwenden sei. Ungeachtet dessen wurde nach wie vor, vor allem von Rechtsschutzversicherern, regelmäßig in Abrede gestellt, dass die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO schon im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem sich anschließenden Verfahren anzuwenden sei.[3]

 

Rz. 12

Diese Streitfrage ist mit dem RVG geklärt. In Anm. Abs. 1 Nr. 1 ist keine Einschränkung vorgenommen, so dass die Zusätzliche Gebühr bei Einstellung in allen Verfahrensabschnitten greift. Gleiches gilt für Anm. Abs. 1 Nr. 2. Auch dort findet sich keine Einschränkung. Im Gegenteil folgt aus der Regelung in Anm. Abs. 1 Nr. 2, dass diese auch für das vorbereitende Verfahren gelten muss. Da die Einspruchsrücknahme im gerichtlichen Verfahren nämlich gesondert in Anm. Abs. 1 Nr. 4 geregelt ist, wäre die Regelung in Anm. Abs. 1 Nr. 2 anderenfalls überflüssig.

 

Rz. 13

Mit dem RVG ist die frühere gesetzliche Regelung der BRAGO durch den Tatbestand der Anm. Abs. 1 Nr. 3, nämlich für den Fall, dass die Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid nach Einspruch zurücknimmt und einen neuen Bußgeldbescheid erlässt, den der Betroffene dann akzeptiert, erweitert worden. Die Rechtsprechung hatte insoweit früher schon die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO analog angewandt.[4] Mit dem RVG ist diese Variante ausdrücklich im Gesetz geregelt worden.

[3] AG Neustadt a. Rhge. AnwBl 1998, 610; AG Darmstadt MDR 1997, 407; AG Donaueschingen AnwBl 1998, 611; AG Freiburg AnwBl 1998, 611; AG Lüdenscheid AGS 1998, 106; AG Mannheim zfs 1998, 481; LG Köln AGS 1997, 139; AG Arnsberg AGS 1999, 155; AG Betzdorf AnwBl 2000, 630; AG Krefeld zfs 2000, 407.
[4] AG Freiburg AGS 2003, 30 m. Anm. N. Schneider = AnwBl 2002, 663.

3. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren

 

Rz. 14

Die Anwendung der Zusätzlichen Gebühr (damals § 84 Abs. 2 BRAGO) auf das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren war nie umstritten. Dies gilt weiterhin. Hier kommt also die Zusätzliche Gebühr nach VV 5115 stets in Betracht, wenn die Hauptverhandlung vermieden wird.

4. Rechtsbeschwerdeverfahren

 

Rz. 15

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren fehlte es in der BRAGO an einer ausdrücklichen Regelung, da § 86 Abs. 3 BRAGO die Vorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht erwähnte. Insoweit wurde jedoch zum Teil auf die allgemeine Verweisung in § 105 Abs. 1 BRAGO zurückgegriffen.[5] Jetzt stellt sich das Problem nicht mehr. Die Zusätzliche Gebühr nach VV 5115 kann auch im Rechtsbeschwerdeverfahren anfallen.

[5] LG Hamburg AGS 2001, 105 m. Anm. Madert = JurBüro 2001, 301.

5. Verfahren auf Zulassung der Rechtsbeschwerde

 

Rz. 16

Da die Gebühren nach den VV 5113, 5114 auch im Verfahren auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gelten (siehe Rdn 99), ist VV 5115 auch dann anzuwenden, wenn der Zulassungsantrag zurückgenommen oder das Verfahren in diesem Stadium eingestellt wird.[6]

[6] Siehe N. Schneider, RVG-B 2005, 14.

6. Verfahren nach Zurückverweisung

 

Rz. 17

Die Zusätzliche Gebühr kann auch nach einer Zurückverweisung anfallen. Wird das erstinstanzliche Urteil vom Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen und dort außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt, so erhält der Anwalt alle Gebühren erneut (§ 21 Abs. 1), so dass auch hier die Zusätzliche Gebühr anfallen kann.

 

Beispiel: Der Betroffene ist vom AG zu einem Bußgeld von 250 EUR verurteilt worden. Er legt hiergegen Rechtsbeschwerde ein. Das OLG hebt das Urteil des AG auf und verweist die Sache an das AG zurück. Dort wird das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt.

Zu rechnen ist ausgehend von den Mittelgebühren wie folgt:

I. Verfahren vor Zurückverweisung

 
1. Verfahrensgebühr, VV 5109   176,00 EUR
2. Terminsgebühr, VV 5110   280,50 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 476,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteu...

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