1. Allgemeines
Rz. 169
Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach VV 2300 entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Mahnverfahrens angerechnet (VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 1). Dies ist auch dann der Fall, wenn die Geschäftsgebühr zeitlich nach dem gerichtlichen Mahnverfahren entsteht. Insofern ist eine Rückwärtsanrechnung vorgeschrieben. Ausdrücklich geregelt ist, dass die Anrechnung nur nach dem Wert des Gegenstandes erfolgt, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist (VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 3).
2. Anrechnung der vollen Verfahrensgebühr bei zwischengeschaltetem Mahnverfahren auf Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits (sog. Kettenanrechnung)
Rz. 170
Der BGH hat entschieden, dass wenn die anwaltliche Geschäftsgebühr gemäß VV 2300 tituliert und dem Erkenntnisverfahren ein Mahnverfahren mit gleichen Gegenstandswerten vorausgegangen ist, bei der Kostenfestsetzung die gemäß VV 3305 entstandene Verfahrensgebühr für die Tätigkeit im Mahnverfahren auf die gemäß VV 3100 entstandene Verfahrensgebühr in vollem Umfang anzurechnen ist.
Der BGH begründet seine Entscheidung zunächst damit, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr in den Fällen zu erfolgen hat, die in § 15a Abs. 2 gesetzlich geregelt sind. Wenn daher die außergerichtliche Geschäftsgebühr in voller Höhe tituliert worden ist, ist die Anrechnung auch im Verhältnis zu Dritten im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (§ 15a Abs. 2 Var. 2). Der Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr steht dabei nicht entgegen, dass die Anrechnungsvorschrift der VV Vorb. 3 Abs. 4 grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Mandant und Anwalt betrifft. Die Anrechnungsregeln hinsichtlich der im Mahnverfahren entstandenen Gebühren wirken sich daher auch im Verhältnis zu Dritten aus (§ 15a Abs. 2 Var. 3).
Nach herrschender Ansicht wird die Berechnung der Gebühren im Falle des nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung zunächst im Mahnverfahren und anschließend im Hauptverfahren in derselben Sache tätigen Rechtsanwalts in der Weise vorgenommen, dass auf die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragstellers im Mahnverfahren die Geschäftsgebühr gemäß VV Vorb. 3 Abs. 4 zur Hälfte bzw. mit maximal 0,75 angerechnet wird. Die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragstellers im Mahnverfahren wird gemäß VV 3305 in vollem Umfang und nicht in durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr gekürztem Umfang auf die Verfahrensgebühr für die Tätigkeit im streitigen Verfahren angerechnet. Die herrschende Meinung folgt dabei dem Wortlaut der Anrechnungsregelung in VV 3305. Hiernach ist die zuvor bezeichnete volle Verfahrensgebühr auf einen nachfolgenden Rechtsstreit anzurechnen. Dem Gesetzeswortlaut kann nicht entnommen werden, dass – im Falle einer zuvor erfolgten Anrechnung – nur die verbleibende Gebühr im nachfolgenden Rechtsstreit anzurechnen ist. § 15a lässt sich vielmehr entnehmen, dass die ursprünglich entstandene Gebühr anzurechnen ist. Durch die volle Anrechnung ist zudem gewährleistet, dass der Sinn der Anm. zu VV 3305 auch dann zum Tragen kommt, wenn eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anzurechnen ist: Dieser besteht letztlich darin die anwaltlichen Gebührenansprüche zu begrenzen. Ansonsten entstünde das vom Gesetzgeber nicht gewollte Ergebnis, dass für die Tätigkeit des nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung zunächst im Mahnverfahren und anschließend im Hauptverfahren tätigen Rechtsanwalts mehr Gebühren festzusetzen wären, als für die Tätigkeit des Anwalts, der nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung direkt das Hauptsacheverfahren betreibt.
Rz. 171
Die BGH-Entscheidung betrifft nur den Fall, dass die Geschäftsgebühr gemäß VV 2300 tituliert ist (§ 15a Abs. 2 Alt. 2). Die praktische Anwendung ist also, dass die Geschäftsgebühr entweder im Mahnverfahren als Kosten festgesetzt oder durch Urteil mit tenoriert wurde. Sie betrifft hingegen nicht § 15a Abs. 2 Alt. 1, Alt. 3. Dennoch ist die Entscheidung auch – insbesondere im Fall des § 15a Abs. 2 Alt. 1 – anzuwenden, also auch dann, wenn die Geschäftsgebühr bereits gezahlt wurde.
Bei einem zwischengeschalteten Mahnverfahren vollzieht sich die Anrechnung der Gebühren folgendermaßen:
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Zunächst ist auf die Mahnverfahrensgebühr nach VV 3305 die Geschäftsgebühr zur Hälfte bzw. mit maximal 0,75 anzurechnen. |
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Sodann wird die Mahnverfahrensgebühr in voller Höhe auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens angerechnet. |
Ein Vergleich mit der Mindermeinung ergibt eindeutig einen Gebührenverlust. Diese Ansicht vertritt die Auffassung, dass auf die Verfahrensgebühr nach VV 3100 gemäß der Anm. zu VV 3305 nur noch die im Mahnverfahren verbleibende Verfahrensgebühr (VV 3305 abzüglich einer halben VV 2300) anzurechnen ist. Grund: nur diese ist, nachdem in der Reihenfolge des zeitlichen Entstehens angerechnet wird, zur Anrechnung noch vorhanden.
Beispiel: Mandant M beauftragt Rechtsanwalt R,...