1.2.1 Wegfall der Erbrechte
1.2.1.1 Durch Erklärung des Testierenden
Zur Aufhebung einer letztwilligen Verfügung stellt das Gesetz dem Testierenden – unabhängig von Trennung bzw. Scheidung – mehrere Möglichkeiten zur Verfügung:
- Errichtung eines Testaments mit abweichendem Inhalt (§ 2258 Abs. 1 BGB),
- Vernichtung eines bestehenden Testaments oder Streichung einzelner Textpassagen (§ 2255 BGB),
- Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus amtlicher Verwahrung (§ 2256 BGB),
- Testamentarischer Widerruf eines Testaments (§§ 2253, 2254 BGB),
- bei wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament: Widerruf in notarieller Form,
- bei Vorliegen eines Erbvertrags mit Rücktrittsvorbehalt: Rücktrittserklärung in notarieller Form gem. § 2291, § 2298 Abs. 2, § 2296 Abs. 2 BGB,
- bei Erbvertrag ohne Rücktrittsvorbehalt: Selbstanfechtung wegen Irrtums über die erfolgte Trennung nach den §§ 2281, 2078 BGB
Formulierungsbeispiel:
… notarielle Urkundsformalien
Ich, …, habe am … mit meinem Ehemann … vor dem Notar … mit Urkunde Nr. … einen Erbvertrag abgeschlossen. In diesem Erbvertrag haben wir uns im ersten Erbfall gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und unsere Kinder zu gleichen Teilen zu Schlusserben.
Bei Abschluss des Erbvertrags bin ich davon ausgegangen, dass wir uns nicht trennen und unsere eheliche Lebensgemeinschaft bis zum Tod des Erstversterbenden von uns fortbestehen wird. Tatsächlich ist unsere Ehe gescheitert. Wir leben seit dem … getrennt. Hätte ich dies zuvor gewusst, hätte ich den vorbezeichneten Erbvertrag nicht abgeschlossen.
Daher fechte ich die in dem vorbezeichneten Erbvertrag enthaltenen vertragsmäßigen letztwilligen Verfügungen an. Der beurkundende Notar wird gebeten, eine Ausfertigung dieser Anfechtungserklärung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Formerfordernisse dem Anfechtungsgegner zuzustellen.
1.2.1.2 Als Folge der Scheidung
Gemäß den §§ 2077, 2268, 2279 Abs. 1 BGB sind die in Einzeltestamenten zugunsten des anderen Ehegatten enthaltenen Verfügungen bzw. die von Ehegatten gemeinsam errichteten letztwilligen Verfügungen ohne weitere Erklärung im Zweifel unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers durch Scheidung oder durch andere Gründe aufgelöst worden war oder nicht bestand. Dieser gesetzlichen Regelung liegt die Annahme zugrunde, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Bestand der Ehe wesentliches Motiv für die Errichtung einer gemeinsamen Verfügung von Todes wegen oder die Erbeinsetzung des anderen Ehegatten ist.
Diese Unwirksamkeitsvermutung gilt – wie im Fall der gesetzlichen Erfolge (§ 1933 BGB) – schon dann, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers zwar noch nicht aufgelöst war, die Voraussetzungen der Scheidung jedoch vorlagen und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte.
1.2.2 Reichweite der Vermutungswirkungen
Bei einem Einzeltestament ergreift die Unwirksamkeitsvermutung gem. § 2077 BGB nur die den anderen Ehegatten betreffenden Verfügungen von Todes wegen; sonstige Bestimmungen zugunsten Dritter bleiben wirksam.
Dem gegenüber reichen die Vermutungswirkung der §§ 2268, 2279 BGB weiter: Die Unwirksamkeitsvermutung erstreckt sich bei Ehegattentestament und Erbvertrag auf alle Verfügungen, auch solche Verfügungen, mit denen Dritte bedacht sind, da durch die Scheidung die Grundlage für das gemeinschaftliche Testieren entfallen ist.
1.2.3 Fortgeltungswille
Diese Vermutungsregelungen greifen nicht ein, wenn die Ehegatten den Willen hatten, dass die letztwillige Verfügung auch im Fall der Scheidung Bestand haben soll, also ein so genannter Fortgeltungswille angenommen werden kann. Maßgeblich ist hierfür zunächst der tatsächliche Wille der Ehegatten. Kann ein solcher nicht festgestellt werden (meist machen sich die Ehegatten bei der Errichtung eines Testaments über eine Scheidung keine Gedanken), ist auf den hypothetischen Willen zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments abzustellen. Dabei ist der Wille des Erblassers im Hinblick auf § 2077 Abs. 3 BGB durch Auslegung zu erforschen.
Es reicht aber die Tatsache, dass die Errichtung des Testaments nach der Trennung, aber vor Beantragung der Scheidung liegt, für die Annahme eines abweichenden Fortgeltungswillens nicht aus.
Kompliziert ist die Situation bei späterer Aussöhnung oder erneuter Heirat. In diesen Fällen besteht häufig der Wunsch der Ehegatten, dass die ursprünglich abgefasste letztwillige Verfügung weiter gelten soll. Hier gibt es die ergebnisorientierte Tendenz, die Wirksamkeit der Verfügung anzunehmen. Entweder nimmt man an, dass mangels geschiedener Ehegatten die Vorschriften nicht anzuwenden sind. Oder es wird auf einen entsprechenden hypothetischen Erblasserwillen abgestellt.