7.1 Anfechtungsrecht gem. § 2079 BGB für den Fall der Wiederverheiratung
Mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten werden wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament bindend, § 2271 Abs. 2 BGB. Durch eine einseitige Verfügung kann der überlebende Ehegatte seine Bindung an wechselbezügliche Verfügungen gem. § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht beseitigen. Die Regelung des Widerrufs wechselbezüglicher Verfügungen erklärt sich aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes: Der andere Ehegatte soll in seinem Vertrauen auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügungen geschützt werden.
Seine Testierfreiheit kann er nur dadurch wiedererlangen, dass er das ihm Zugewandte gem. § 2271 Abs. 2 BGB ausschlägt oder – bei vorliegender Voraussetzung – zum Mittel der Anfechtung gem. § 2079 BGB greift.
Bezüglich der Ausschlagung sind die §§ 1942 ff., 1953, 2180 BGB zu berücksichtigen. Durch die Ausschlagung allein werden die wechselbezüglichen Verfügungen des überlebenden Ehegatten nicht aufgehoben. Der Ausschlagende erwirbt lediglich das Recht, abweichend zu testieren. Hebt er dabei eine wechselbezügliche Verfügung auf, hat dies gem. § 2270 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit der dazu korrespondierenden Verfügungen des anderen zur Folge. Ein widersprechendes Testament oder ein entsprechender Erbvertrag können schon vor der Ausschlagung errichtet worden sein.
Eine Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments zu Lebzeiten beider Ehegatten ist ausgeschlossen, denn die Ehegatten können ihre Verfügungen unter Beachtung der Voraussetzungen der §§ 2271, 2286 BGB widerrufen und benötigen aus diesem Grund kein Anfechtungsrecht.
Der überlebende Ehegatte kann zum einen die Verfügungen des verstorbenen Ehegatten nach § 2078 BGB anfechten. Die erfolgreiche Anfechtung hat nach § 2270 Abs. 1 BGB auch die Nichtigkeit der eigenen wechselbezüglichen Verfügungen des überlebenden Ehegatten zur Folge.
Zum anderen kann der überlebende Ehegatte aber auch seine eigenen wechselbezüglichen Verfügungen anfechten. Das Anfechtungsrecht steht ihm unter denselben Voraussetzungen zu, wie im Falle der Anfechtung von vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag durch den Erblasser (§§ 2281 ff. BGB i. V. m. §§ 2078 f. BGB)
Ein Anfechtungsrecht besteht demnach, wenn sich der Erklärende in einem Irrtum befunden hat oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (§ 2078 Abs. 1 BGB) oder wenn er widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist (§ 2078 Abs. 1 BGB).
Wenn der Erklärende durch seine Verfügung einen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist, gelten die § 2079 Satz 1 BGB i. V. m. § 2281 Abs. 1 BGB; beispielsweise wenn der längstlebende Ehegatte wieder geheiratet hat.
Voraussetzung für eine Anfechtung ist aber stets, dass anzunehmen ist, dass der Überlebende bei Kenntnis der Sachlage seine Verfügung nicht getroffen haben würde.
Die Anfechtung ist gegenüber dem Nachlassgericht binnen einer Frist von einem Jahr ab Kenntnis vom Anfechtungsgrund zu erklären, § 2283 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Die Erklärung bedarf der notariellen Beurkundung, § 2282 Abs. 3 BGB.
Muster:
Selbstanfechtung von Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament durch den länger lebenden Ehegatten
… (notarielle Urkundsformalien)
Ich habe mit meiner Ehefrau … am … ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin haben wir uns gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und unsere Kinder zu Schlusserben des Längstlebenden von uns bestimmt. Meine Frau ist am … verstorben. Am … habe ich mich mit … verheiratet.
Hiermit fechte ich die von mir in dem gemeinschaftlichen Testament vom … getroffenen Verfügungen wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten an.
Ich bitte, mir eine Ausfertigung dieser Urkunde zu erteilen und diese dem Nachlassgericht in … zu übersenden.
Der übergangene Pflichtteilsberechtigte hat zu Lebzeiten des Erblassers kein eigenes Anfechtungsrecht. Nach dem Tod des Erblassers kann der Pflichtteilsberechtigte bei einem gemeinschaftlichen Testament oder einem Erbvertrag nur dann noch eine Anfechtung gem. § 2079 BGB erklären, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers in seiner Person noch bestanden hat, also das Anfechtungsrecht des Erblassers noch nicht wegen Fristablaufs, Bestätigung oder Verzichts erloschen ist (§§ 2285, 2280 BGB analog).
7.2 Auswirkung der Inhaltskontrolle von Eheverträgen auf das Erbrecht?
Ausgehend von den Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des BGH zu den Grenzen der Vertragsfreiheit bei Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen und der hierfür entwickelten Inhaltskontrolle wird zunehmend diskutiert, inwieweit auch Erb-, und Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Konkrete Berührungspunkte zu dieser aktuellen Entwicklung im Ehevertragsrecht ergeben sich aus zwei Umständen:
Zum einen werden zu Recht Erb- und insbesondere Pflichtteilsverzichte im Zusammenhang mit ehevertraglichen Regelungen und Scheidungsvereinbarungen getroffen, u...