Leitsatz

Da die schriftliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer zu einem schriftlichen Beschluss die Versammlung ersetzt, ist ihr Fehlen dem Fehlen einer Versammlung gleich zu erachten.

 

Normenkette

§ 23 Abs. 3 WEG

 

Das Problem

  1. Die Wohnungseigentumsanlage ist eine Mehrhausanlage, die aus 2 Wohngebäuden besteht, dem Haus 1 und dem Haus 2. Nach der Gemeinschaftsordnung sind die Wohngebäude "weitestgehend getrennt voneinander zu bewirtschaften und zu verwalten". Die Gemeinschaftsordnung ist nach einer Vereinbarung so auszulegen und anzuwenden, als handle es sich bei den Wohngebäuden um real geteilte bauliche Anlagen, soweit dies tatsächlich und rechtlich möglich ist. Sie bilden "insoweit eigene Untergemeinschaften und stimmen gesondert ab". Nicht betroffen von dieser Aufteilung sind sämtliche Beschlüsse über gemeinschaftlich genutzte Flächen und Anlagen, insbesondere die Heizungsanlage, Parkplätze sowie die einheitliche Gestaltung der Gesamtanlage.
  2. Im Juni 2015 führen die Eigentümer von Haus 1 unter sich eine Beschlussfassung im "Umlaufverfahren" durch. Sie übermitteln dem Verwalter einen von vielen, aber nicht allen Eigentümern des Hauses unterschriebenen Beschluss. Nach diesem wird der Verwalter aufgefordert, unverzüglich eine H-GmbH anzuweisen, bei der beauftragten Dämmung an der Eingangsseite von Haus 1 "Klinker" und nicht "Putz" zu verwenden. Behelfsweise ist der Verwaltungsbeirat ermächtigt, die H-GmbH über diesen Beschluss zu unterrichten. Weiterhin wird der Verwalter aufgefordert, die Baugenehmigung entsprechend ändern zu lassen. Der Beschluss wird durch Aushang im Haus 1 als "gefasst" bekanntgegeben.
  3. Verwalterin V ficht diesen Beschluss an und beantragt hilfsweise, seine Nichtigkeit festzustellen, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Beschlüsse nicht zustande gekommen sind. V macht geltend, ein Beschluss sei nicht zustande gekommen, da weder zur schriftlichen Beschlussfassung noch zu dem Inhalt die Zustimmung sämtlicher Eigentümer vorliege (§ 23 Abs. 3 WEG).

    § 23 Abs. 3 WEG

    Auch ohne Versammlung ist ein Beschluss gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zu diesem Beschluss schriftlich erklären.

 

Die Entscheidung

Der Beschluss

  1. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist kein Beschluss zustande gekommen. Es fehle an einer notwendigen Entstehensvoraussetzung. Nicht alle Wohnungseigentümer hätten dem Beschlussantrag schriftlich zugestimmt. Allerdings sei streitig, ob bei Fehlen von Unterschriften bei einer schriftlichen Beschlussfassung bei Vorliegen einer Beschlussverkündung, der hier in dem Aushang des Beschlusstextes mit einer Unterschriftenliste liege, ein Nichtbeschluss oder ein nur anfechtbarer Beschluss vorliege. Von einem "Nichtbeschluss" (Scheinbeschluss) werde allgemein gesprochen, wenn es an den Voraussetzungen fehle, die mindestens vorliegen müssen, damit wenigstens ein mangelhafter Beschluss zustande komme. Geradezu als Standardbeispiel werde dafür genannt der Fall einer Entscheidung mehrerer, aber nicht sämtlicher Wohnungseigentümer außerhalb einer Versammlung (Hinweis auf Elzer in Beck'scher Online-Kommentar WEG, Stand: 1.10.2015, § 46 Rn. 37). Dagegen werde eingewandt, dass die konstitutive Wirkung einer Beschlussverkündung dazu führe, dass ein Beschluss trotz Fehlens einer oder mehrere Unterschriften – wenn auch anfechtbar – existent werde. Auch eine Nichtigkeit des Beschlusses werde wegen der Abdingbarkeit des § 23 Abs. 3 WEG verneint (Hinweis unter anderem auf Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 6. Auflage 2015, 8. Teil Rn. 178 und Rn. 179, AG Hamburg-Barmbek v. 16.3.2007, 881 II 34/06, ZMR 2009 S. 406 und Breiholdt, ZMR 2010, S. 168). Dagegen werde eingewandt, dass eine Verkündung bei einer fehlenden Unterschrift ins Leere gehe (Hinweis auf Elzer in Jennißen, WEG, 3. Auflage 2011, § 23 Rn. 82).
  2. Der zuletzt genannten Ansicht sei zu folgen. Bei Fehlen auch nur einer schriftlichen Zustimmung seien die Entstehungsvoraussetzungen für einen Beschluss nach § 23 Abs. 3 WEG nicht gegeben. Diese Entstehungsvoraussetzungen könnten durch eine Beschlussverkündung nicht konstituiert werden. Die Beschlussverkündung sei zwar notwendig, um einen Beschluss existent werden zu lassen. Sie sei jedoch nicht die einzige Entstehungsvoraussetzung für einen Beschluss. Es sei anerkannt, dass es an einer Beschlussqualität fehle, wenn es an dem grundlegenden Akt der vom WEG vorgesehen Willensbildung fehle. Dies werde vor allem dann angenommen, wenn, eine "Stimmabgabe" ohne oder außerhalb einer Versammlung stattfinde oder ein Abstimmungsvorgang gar nicht stattgefunden habe. Dem sei der Fall gleich zu erachten, dass bei einer schriftlichen Abstimmung eine oder mehrere Unterschriften fehlen, da auch dann die Mindestanforderungen an die Willensbildung der Eigentümer nicht gewahrt sei (Hinweis unter anderem auf Hermann in beck-online Großkommentar, Stand: 1.12.2015, § 23 Rn. 36). Die mündliche Erörterung und Beschlussfassung in einer Versammlung sei der essenzielle Akt der Willensbildung. Selbst wenn Eigent...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?