Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
2.1 Regelungssystem
Rz. 5
Während die RAO in §§ 109–121 RAO, ergänzt durch § 97 Abs. 2 RAO, die gesamten Haftungsregelungen zusammengefasst hatte, war es das Bestreben des Gesetzgebers, in der AO die einzelnen Teile des Haftungsrechts systematisch klarer in denjenigen Teilen und Abschnitten zu behandeln, in die sie ihrem Inhalt nach gehören. In der AO befinden sich die materiellen Haftungsvorschriften und die Duldungspflicht im 2. Teil (Steuerschuldrecht), die Verfahrensvorschriften im 4. und 5. Teil, und zwar die Festsetzungsregelungen der §§ 191, 192 AO im 4. Teil (Durchführung der Besteuerung) und die Regelungen über das Erheben im 5. Teil (Erhebungsverfahren). Die Übernahme nichtsteuerlicher Haftungsregelungen durch § 191 AO (vgl. Rz. 11) führt dabei wieder zu einer Vermischung von materiellem Haftungs- und Haftungsverfahrensrecht.
Rz. 6
Bei der systematischen Aufteilung sind außerdem einige Fehler unterlaufen. Die früher in § 118 RAO geregelte örtliche Zuständigkeit ist bei ihr völlig verloren gegangen. Diese Lücke ist durch die Ersatzzuständigkeit des § 24 AO zu schließen. Weiter enthält § 76 Abs. 5 AO im Bereich der materiellen Haftungsvorschriften systemwidrig eine Verfahrensregelung.
Unklarheiten haben sich in mehrfacher Hinsicht auch aus der Fassung des § 191 AO ergeben. Der Gesetzgeber hat bewusst keine materiell-rechtliche Transformationsvorschrift in die AO aufgenommen, die entsprechend §§ 113, 120 RAO nichtsteuerlichen Haftungsvorschriften auch einen steuerlichen Inhalt verschaffen. § 191 AO schafft auch nicht die materiell-rechtliche Grundlage für die Haftung, sondern setzt sie voraus, ob sie nun steuerrechtlicher oder zivilrechtlicher Herkunft ist. Die Transformation der nicht steuerlichen Haftungs- und Duldungsvorschriften geschieht jetzt unmittelbar durch Zulassung des Haftungs- bzw. Duldungsbescheids auch für die nichtsteuerlichen Haftungsvorschriften materiell-rechtlicher Art. Es ist umstritten, aber auch eine weitgehend theoretische Frage, ob diese Haftungsvorschriften überhaupt nicht, unmittelbar vor oder erst bei der Übernahme durch Haftungs- oder Duldungsbescheid einen steuerrechtlichen, also öffentlich-rechtlichen Charakter bekommen, ob § 191 Abs. 1 AO also auch einen materiell-rechtlichen Teilinhalt hat. Schließlich ist auch unklar, ob die Vorschrift des § 191 Abs. 1 AO, die wörtlich nur von der Haftung für Steuern spricht und schon wegen § 1 Abs. 3 S. 2 AO nicht auf steuerliche Nebenleistungen ausgedehnt werden dürfte, für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis herangezogen werden darf. Die Haftung für Haftungsschulden kann unstrittig nach § 191 AO geltend gemacht werden.
2.2 Materiell-rechtliche Haftungs- und Duldungsvorschriften der AO
Rz. 7
Im Einzelnen enthält die AO folgende materiell-rechtlichen Haftungs- und Duldungsvorschriften:
§ 69 AO: |
Haftung der Vertreter und gleichgestellter Personen, die unter §§ 34, 35 AO fallen, bei grob schuldhafter Pflichtverletzung. |
§ 70 AO: |
Haftung des vertretenen Nichtsteuerschuldners. |
§ 71 AO: |
Haftung des Steuerhinterziehers und Steuerhehlers. |
§ 72 AO: |
Haftung bei Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit nach § 154 Abs. 1, 3 AO. |
§ 73 AO: |
Haftung der Organgesellschaft bei Organschaftsverhältnissen (KSt, GewSt, USt). |
§ 74 AO: |
Haftung des Eigentümers von Gegenständen bei wesentlicher Beteiligung am nutzenden Unternehmen. |
§ 75 AO: |
Haftung des Übernehmers eines Unternehmens oder gesondert geführten Betriebes im Ganzen. |
§ 76 AO: |
Sachhaftung verbrauchsteuer- oder zollpflichtiger Waren. |
§ 77 AO: |
Duldung der Vollstreckung in das Vermögen bei Zahlungspflichten und öffentlichen Lasten auf Grundbesitz. |
2.3 Verfahrensvorschriften
Rz. 8
Die AO enthält folgende Verfahrensvorschriften zur Haftung und Duldung:
§ 76 AO: |
Absehen von der Geltendmachung der Sachhaftung für Zölle und Verbrauchsteuern beim Abhandenkommen von Waren, ihrer Aufnahme in einen Herstellungsbetrieb oder Zuführung zur Zollbehandlung. |
§ 191 AO: |
Regelung über den Erlass von Haftungs- und Duldungsbescheiden bei Haftung oder Duldung kraft Gesetzes einschließlich detaillierter Regelung der Festsetzungsfrist und andere Ausschlussgründe. |
§ 192 AO: |
Verfahrensregelung für vertraglich übernommene Haftung durch Verweisung auf Vorschriften des bürgerlichen Rechts. |
§ 219 AO: |
Regelung der Zahlungsinanspruchnahme im Verhältnis des Haftenden zum Steuerschuldner. |