Rz. 112
Das Pflichtteilsprinzip in der heutigen Form wurde 1857 eingeführt. Der Pflichtteil (laglott) ist heute im 7. Kapitel des Erbgesetzbuches geregelt. In § 1 heißt es, "dass die Hälfte des Erbteils, das einem Leibeserben (bröstarvinge) nach dem Gesetz zusteht, seinen Pflichtteil bildet". Sprachlich eher korrekt wäre es im Rahmen einer deutschsprachigen Darstellung des schwedischen Erbrecht hier von einem Pflichtanteil anstatt von einem Pflichtteil zu sprechen, da das Recht am Pflichtteil in Schweden als ein Teilhaberecht am Nachlass ausgestaltet ist und nicht nur lediglich ein Anspruch in Geld gerichtet gegen die Testamentserben.
Rz. 113
Das Pflichtteilsrecht wird dann aktuell, wenn ein Erblasser durch ein Testament eine andere Rechtsnachfolge anordnet, als dies die gesetzliche Erbfolge vorsieht. Pflichtteilsansprüche sind bei einer Nachlassabwicklung in Schweden nicht automatisch zu berücksichtigen, sondern der Pflichtteilsberechtigte muss zur Geltendmachung des Pflichtteils nach ordnungsgemäßer Zustellung einer beglaubigten Testamentskopie aktiv tätig werden und diesen innerhalb einer Sechsmonatsfrist einfordern.
Rz. 114
Pflichtanteilsberechtigt sind nur Abkömmlinge, also Kinder – auch nichteheliche oder adoptierte –, sowie deren Abkömmlinge, soweit sie nicht durch vorgehende Abkömmlinge ausgeschlossen sind. Alle anderen, selbst Ehegatten und Eltern des Erblassers, sind nicht pflichtteilsberechtigt. Grundsätzlich kann der Testator alle als Erben in Frage kommenden Personen durch Testament von der Erbschaft ausschließen. Die Summe der Pflichtanteile macht grundsätzlich die Hälfte des Nachlasses aus. In Schweden wird die andere Hälfte die "disponible Quote" genannt, da der Erblasser über diesen Teil testamentarisch frei verfügen kann. Beeinträchtigt eine letztwillige Verfügung Pflichtteilsrechte, ist sie insoweit unwirksam. Der Anspruch, der als Teilhabeanspruch ausgestaltet ist, richtet sich immer auf eine Quote am Nachlass, nicht auf einzelne Gegenstände. Der Nachlass als solcher (dödsbo) kann auch im Grundstücksregister als Grundstückseigentümer eingetragen werden und grundbuchlich gesicherte Darlehen aufnehmen (IB Kap. 20, §§ 1, 2, 3). Zum Nachlass siehe im Einzelnen Rdn 128 ff.
Rz. 115
Der Pflicht(an)teilsberechtigte hat die Stellung eines Miterben und ist am Nachlass (dödsbo) beteiligt. Er ist – sofern es im Einzelfall mit Deutschlandbezug aktuell werden sollte, dass in Deutschland unter Anwendung von schwedischem materiellen Erbrecht ein Erbschein für das dödsbo beantragt werden muss – im Erbschein aufzuführen.
Rz. 116
Der Pflichtteilsberechtigte muss sich darauf anrechnen lassen, was er vom Erblasser als Vorempfang auf sein Erbe erhalten hat, "sowie auch das aufgrund eines Testaments Empfangene, falls dies nicht etwas anderes anordnet" (7:2 ÄB).
Rz. 117
Um seinen Pflichtteil zu erhalten, muss der Pflichtteilsberechtigte eine Abänderung des Testaments verlangen (jämkning) (ÄB Kap. 7 § 3 Abs. 1 und 3). Dieses Verlangen muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem er durch ordnungsgemäße Zustellung einer beglaubigten Testamentskopie vom Inhalt des Testaments nachweislich Kenntnis erhalten hat, gestellt werden (ÄB 7:3 und ÄB 14:5).
Der Anspruch auf den Pflichtteil kann
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gegenüber dem Testamentserben geltend gemacht werden (z.B. durch ein einfaches Schreiben an diesen, wobei rein praktisch jedoch darauf geachtet werden sollte, dass der Zugang eines solches Schreibens an den Testamentserben nachweisbar ist) oder aber |
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durch Klage (wobei in diesem Falle die Frist zur Geltendmachung des Pflichtteils bereits durch Klageeinreichung gewahrt bleibt und es für die Fristwahrung nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klage an den Testamentserben ankommt). |
Rz. 118
Wird die Sechsmonatsfrist versäumt, ist das Klagerecht verwirkt (ÄB 7:3, Abs. 3 und ÄB 14:5, Abs. 1) und die das Pflichtteil einschränkende Verfügung im Testament wirksam, selbst wenn sie gegen das Pflichtteilsrecht verstößt. Die Kenntnis des Testaments muss dem Pflichtteilsberechtigten, wie in Kap. 14 ÄB vorgeschrieben, durch Übergabe einer bezeugten Testamentskopie oder – falls es sich um ein mündliches Testament handelt – durch Übergabe des Protokolls über die Vernehmung der Testamentszeugen oder einer anderen schriftlichen Aufzeichnung über den Inhalt des Testaments verschafft werden (ÄB 14:4).
Rz. 119
Sieht das Testament den Ehegatten als Alleinerben vor, so ist hinsichtlich des Pflichtteilsrechts der gemeinsamen Kinder und solcher, die nur Kinder des Verstorbenen, aber nicht Kinder des längstlebenden Ehegatten sind, zu unterscheiden:
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Die gemeinsamen Kinder können ggf. nur erreichen, dass der Längstlebende nicht Eigentümer wird; sein freies Verfügungsrecht können sie nicht verhindern und sie erhalten das ihnen an sich nach dem verstorbenen Elternteil zustehende Erbe als dem längstlebenden Elternteil nachgeschobene Nacherben erst nach dem Tode des Längstlebenden (ÄB 7:3). Anders ist es, wenn der Verstorbene... |