Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
I. Im Rahmen der Errungenschaftsbeteiligung
1. Trennung des Vermögens von Mann und Frau
Rz. 106
Die güterrechtliche Auseinandersetzung beginnt mit der Rücknahme von Vermögenswerten, die sich im Besitz des anderen Ehegatten befinden und der Regelung der zwischen den Ehegatten bestehenden Schulden (vgl. Art. 205 ZGB). Die Rücknahme von Vermögenswerten setzt lediglich die bessere Berechtigung am fraglichen Vermögenswert, also nicht zwingend die Stellung eines Eigentümers, voraus. Miteigentum der Ehegatten an einem Vermögenswert ist nach sachenrechtlichen Grundsätzen aufzuheben. Im Streitfall wird das gemeinschaftliche Objekt nach gerichtlicher Anordnung körperlich geteilt oder versteigert (Art. 651 Abs. 2 ZGB). Ferner kann derjenige Ehegatte, der ein überwiegendes Interesse am Vermögenswert nachweist, dessen ungeteilte Zuweisung gegen volle Entschädigung des anderen Ehegatten verlangen (Art. 205 Abs. 2 ZGB). Von dieser Möglichkeit wird in der Praxis u.a. bei der Familienwohnung und beim Hausrat Gebrauch gemacht. An einer vor oder während der Ehe erfolgten Übertragung von Vermögenswerten zu Eigentum oder einem beschränkten dinglichen Recht bzw. an der Zession von Forderungen ändert die Scheidung grundsätzlich nichts. Ein Anspruch auf Rückübertragung bzw. -zession besteht deshalb nur dann, wenn ein solcher für den Fall der Scheidung besonders vereinbart worden ist. Zu denken ist vor allem an ein fiduziarisches Rechtsgeschäft. Namentlich besteht mangels spezifischer eherechtlicher Bestimmungen bzw. mangels entsprechender richterlicher Rechtsfortbildung nach schweizerischem Recht keine Grundlage, Schenkungen oder Schenkungsversprechungen über die allgemeinen Regeln von Art. 249 f. OR hinaus zu widerrufen.
2. Mehrwertbeteiligung
Rz. 107
Einen speziellen Anwendungsfall von zwischen den Ehegatten bestehenden Schulden regelt Art. 206 ZGB. Hat ein Ehegatte ohne Schenkungsabsicht und ohne Gegenleistung zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung eines Vermögensgegenstandes des anderen Ehegatten beigetragen und besteht im Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung ein konjunktureller Mehrwert, erhöht sich der ursprüngliche Nominalwert der Forderung des investierenden Ehegatten im Verhältnis seiner Beteiligung um den eingetretenen Mehrwert. An einem allfälligen Minderwert partizipiert der investierende Ehegatte demgegenüber nicht; er hat in jedem Fall Anspruch auf Rückerstattung des Nennwerts seines Beitrages (sog. Nennwertgarantie). Der Anspruch auf Mehrwertbeteiligung besteht auch in Fällen des gemeinschaftlichen Eigentums unter Ehegatten bei ungleicher Finanzierung.
3. Vorschlagsberechnung
Rz. 108
Nach der Trennung von Mannes- und Frauengut sind Vermögen und Schulden jedes Ehegatten in Anwendung von Art. 197 ff. und Art. 209 Abs. 2 ZGB entweder seinem Eigengut oder seiner Errungenschaft zuzuweisen. Gestützt auf Art. 207 Abs. 1 i.V.m. Art. 204 Abs. 2 ZGB ist für die Zuordnung der einzelnen Vermögensbestandteile der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsbegehrens bzw. der Scheidungsklage maßgebend. Rechtshängigkeit tritt mit Einreichung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens oder der Scheidungsklage ein (Art. 274 i.V.m. Art. 62 Abs. 1 ZPO; vgl. hierzu Rdn 94). Zur Bestimmung des anzurechnenden Werts äußern sich die Art. 211 ff. ZGB. Danach ist grundsätzlich auf den Verkehrswert im Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung abzustellen. Ist auch die andere Gütermasse des Eigentümerehegatten am Erwerb, an der Verbesserung oder der Erhaltung eines Vermögensgegenstandes beteiligt, steht ihr eine Ersatzforderung zu. Dasselbe gilt für den Fall, dass Schulden einer Masse mit Mitteln der anderen bezahlt worden sind (Art. 209 ZGB). Hat ein Ehegatte während der letzten fünf Jahre vor Auflösung des Güterstandes ohne Zustimmung des anderen das Ausmaß üblicher Gelegenheitsgeschenke übersteigende, unentgeltliche Zuwendungen ...