Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
Rz. 26
Hinsichtlich der Form von letztwilligen Verfügungen erklärt das IPRG das Haager Testamentsübereinkommen für anwendbar (Art. 93 Abs. 1 IPRG, unverändert). Das Haager Testamentsübereinkommen gilt gem. Art. 93 Abs. 2 IPRG (unverändert) sinngemäß auch für die Form von Erbverträgen. Damit entspricht die Rechtslage nach schweizerischem IPR in Bezug auf die Formfrage von letztwilligen Verfügungen weitgehend derjenigen unter der EuErbVO (vgl. insb. Art. 75 Abs. 1 Unterabs. 2 sowie Art. 27 EuErbVO).
Rz. 27
Die materielle Wirksamkeit, die Widerrufbarkeit und die Auslegung einer letztwilligen Verfügung (Testament) sowie die Wirkung der darin enthaltenen Anordnungen unterstehen neu dem Recht am Wohnsitz des Verfügenden zur Zeit ihrer Errichtung (Art. 94 Abs. 1 nIPRG). Damit wird ein vom Erbstatut (vgl. Rdn 23 ff.) unabhängiges Errichtungsstatut geschaffen. Der Verfügende kann aber auch in der betreffenden oder einer früheren letztwilligen Verfügung seinen ganzen Nachlass einem seiner Heimatrechte unterstellen, dann tritt dieses an die Stelle des Wohnsitzrechts (Art. 94 Abs. 2 nIPRG, mit Verweis auf Art. 91 Abs. 1 nIPRG). Bei einer Teilrechtswahl kommt diese Regelung nicht zur Anwendung. Gemäß Art. 94 Abs. 3 nIPRG kann der Verfügende auch die letztwillige Verfügung (bzw. die von Art. 94 Abs. 1 nIPRG erfassten Rechtsfragen: materiellen Wirksamkeit, Wirkung der Verfügung) dem Recht eines seiner Heimatstaaten unterstellen, wobei die entsprechende Staatsangehörigkeit entweder im Verfügungszeitpunkt oder im Todeszeitpunkt gegeben sein muss.
Rz. 28
Gültigkeitsvoraussetzungen und Wirkungen eines Erbvertrages (einschließlich die materielle Wirksamkeit, die Bindungswirkungen und die Auslegung des Erbvertrages sowie die Wirkungen der darin enthaltenen Anordnungen, vgl. Art. 95 Abs. 1 nIPRG), der nur eine Partei als Erblasser verpflichtet, unterstehen grundsätzlich dem Recht am Wohnsitz des Verfügenden zur Zeit des Vertragsabschlusses (Art. 95 Abs. 1 nIPRG). Ein späterer Wohnsitzwechsel ist unbeachtlich. Hat der Erblasser im Erbvertrag oder in einer früheren Verfügung aber eine Rechtswahl zugunsten eines seiner Heimatrechte getroffen, so tritt dieses an die Stelle dieses Wohnsitzrechtes (Art. 95 Abs. 2 nIPRG mit Verweis auf Art. 91 Abs. 1 nIPRG).
Rz. 29
Bei Erbverträgen mit zwei oder mehr Verfügenden, die den Nachlass mehrerer Personen betreffen (als solche gelten gemäß Art. 95 Abs. 3 Satz 2 nIRPG auch letztwillige Verfügungen, denen eine gemeinsame Vereinbarung der Verfügenden mit Bindungswirkung zugrunde liegt, sowie gemeinschaftliche und korrespektive Testamente) müssen die Verfügungen eines jeden Verfügenden dem auf sie anwendbaren Recht nach Art. 95 Abs. 1 nIPRG (Wohnsitzrecht) oder Art. 95 Abs. 2 nIPRG (gewähltes Heimatrecht) entsprechen (Art. 95 Abs. 3 nIPRG). In der Botschaft wurde klargestellt, dass damit nicht verlangt wird, dass die einzelnen Verfügungen den Anforderungen sämtlicher involvierten Rechtsordnungen (also dem Wohnsitz- oder Heimatrecht sämtlicher Verfügenden) entsprechen müssen. Alternativ können die Parteien den Erbvertrag dem Heimatrecht beziehungsweise dem Recht am Wohnsitz eines der Verfügenden zur Zeit des Vertragsabschluss unterstellen (Art. 95 Abs. 4 Satz 1 nIPRG)
Rz. 30
Der neue Art. 95a nIPRG hält ausdrücklich fest, dass Art. 95 nIPRG sinngemäß auch für andere vertragliche Verfügungen über den Nachlass gilt.
Rz. 31
Art. 95b Abs. 1 nIPRG konkretisiert den in Art. 94 f. nIPRG verwendeten Begriff der materiellen Wirksamkeit. Diese umfasst:
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die Zulässigkeit der letztwilligen Verfügungen oder des betreffenden Vertragstyps an sich (lit. a); |
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das Zustandekommen der letztwilligen Verfügung oder des Vertrags (lit. b); |
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die Verfügungsfähigkeit des Verfügenden (lit. c); |
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die Anfechtbarkeit der letztwilligen Verfügung oder des Vertrags (lit. d); |
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die Zulässigkeit der darin enthaltenen Anordnungen (lit. e). |
Rz. 32
Die Verfügungsfreiheit bestimmt sich nach Art. 95b Abs. 2 nIPRG nach dem von den Art. 90 (Grundsatz: Wohnsitz-/schweizerisches Heimatrecht) und Art. 91 nIPRG (Rechtswahl) bezeichneten Recht (Erbstatut), wobei für Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz der Vorbehalt zu Gunsten des Schweizer Pflichtteilsrecht zu beachten ist (Art. 90 Abs. 1 IPRG i.f.).