Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
1. Allgemeines
Rz. 83
Das auf den 1.1.2000 in Kraft getretene, revidierte Scheidungsrecht geht – wie das vormals geltende Scheidungsrecht gemäß dem ZGB von 1907 – vom Zerrüttungsprinzip aus. Durch die Einführung formalisierter Scheidungsgründe wird das Aufrollen der Ehegeschichte aber weitgehend vermieden. Dem Verschulden kommt nur noch eine marginale, insbesondere auf den Anwendungsbereich des Scheidungsgrundes der Unzumutbarkeit (Art. 115 ZGB) beschränkte Bedeutung zu.
Rz. 84
Das neue Scheidungsrecht sieht drei Scheidungsgründe vor:
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die Scheidung auf gemeinsames Begehren mit umfassender Einigung oder Teileinigung (Art. 111 f. ZGB), |
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die Scheidung auf Klage nach zweijährigem Getrenntleben (Art. 114 ZGB) und |
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die Scheidung auf Klage wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe (Art. 115 ZGB). |
Rz. 85
Das System der Scheidungsgründe ist dabei in mehrfacher Hinsicht durchlässig: Wenn sich die im Scheidungspunkt übereinstimmenden Ehegatten im Laufe des Scheidungsverfahrens auch über sämtliche Nebenfolgen der Scheidung verständigen können, findet ein Wechsel vom Verfahren nach Art. 112 ZGB zu demjenigen nach Art. 111 ZGB statt (Art. 288 Abs. 1 ZPO). Sind die Voraussetzungen für eine Scheidung auf gemeinsames Begehren nicht erfüllt, ist ein Wechsel von der Scheidung auf gemeinsames Begehren zur Scheidung auf Klage möglich (Art. 288 Abs. 3 ZPO). Stimmt der Beklagte der Scheidungsklage zu oder erhebt er Widerklage, findet ein Übergang zur Scheidung auf gemeinsames Begehren – in praxi regelmäßig zu Art. 112 ZGB – statt (Art. 292 Abs. 1 lit. b ZPO). Sobald aber der geltend gemachte Scheidungsgrund feststeht, findet kein Wechsel zur Scheidung auf gemeinsames Begehren mehr statt (Art. 292 Abs. 2 ZPO).
Rz. 86
Im Jahr 2019 sind in der Schweiz 16.611 Ehen geschieden worden. Im Jahr 2010 waren es noch 22.081. Die Scheidungen auf gemeinsames Begehren machten mit einer Gesamtzahl von 20.779 (wovon 19.675 im Verfahren der umfassenden Einigung und 1.104 im Verfahren der Teileinigung) den mit Abstand größten Anteil aus. Von den verbliebenen 1.302 Scheidungen auf Klage beruhte mit einer Anzahl von 1.245 der Großteil auf dem Tatbestand des Getrenntlebens (Art. 114 ZGB). Lediglich 57 Scheidungen wurden wegen Unzumutbarkeit gestützt auf Art. 115 ZGB ausgesprochen.
2. Scheidung auf gemeinsames Begehren
Rz. 87
Die Scheidung auf gemeinsames Begehren beruht auf dem ernsthaften, übereinstimmenden Scheidungswillen der Ehegatten. Sind sich die Ehegatten zudem über sämtliche Scheidungsfolgen einig, so dass sie dem Gericht eine vollständige Scheidungskonvention mitsamt den zu deren Überprüfung notwendigen Belegen unterbreiten können, gelangt das Verfahren der umfassenden Einigung gem. Art. 111 ZGB i.V.m. Art. 285 ZPO zur Anwendung. In der Scheidungsvereinbarung müssen die Kindesbelange (vgl. Art. 133 ZGB), der nacheheliche Unterhalt (vgl. Art. 125 ff. ZGB und Art. 282 ZPO), die Aufteilung der beruflichen Vorsorge (vgl. Art. 122 ff. ZGB und Art. 280 ZPO), die güterrechtliche Auseinandersetzung (vgl. Art. 204 ff. bzw. Art. 236 ff. ZGB) und ggf. das Schicksal der Familienwohnung (vgl. Art. 121 ZGB) geregelt werden (vgl. Art. 285 ZPO). Im Rahmen einer getrennten und gemeinsamen Anhörung der Ehegatten überzeugt sich das Gericht davon, dass das Scheidungsbegehren und die Vereinbarung auf freiem Willen und reiflicher Überlegung beruhen und die Vereinbarung voraussichtlich genehmigt werden kann (Art. 111 Abs. 1 und 2 ZGB i.V.m. Art. 287 ZPO). Die für die Rechtsverbindlichkeit der Eheauflösung konstitutive Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn die Scheidungsfolgenregelung vollständig, klar, rechtlich zulässig und nicht offensichtlich unangemessen ist. Die Überprüfung ist mithin insofern von mehr als bloß formeller Natur, als die klar zu Tage tretende Übervorteilung eines Ehegatten verhindert werden soll (Art. 111 Abs. 2 ZGB und Art. 279 Abs. 1 ZPO).
Rz. 88
Ist demgegenüber eine Verständigung hinsichtlich der Scheidungsnebenfolgen nicht oder nicht in allen Punkten möglich...