Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
1. Zuständigkeit der Gerichte
Rz. 101
Gestützt auf Art. 59 IPRG besteht eine Scheidungszuständigkeit der schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten und am Wohnsitz des Klägers. Der Wohnsitzgerichtsstand zugunsten des Klägers setzt allerdings voraus, dass dieser sich seit einem Jahr in der Schweiz aufhält oder das Schweizer Bürgerrecht besitzt. Haben die Ehegatten keinen Wohnsitz in der Schweiz, ist einer von ihnen aber Schweizer Bürger, sieht Art. 60 IPRG einen subsidiären Heimatgerichtsstand vor, sofern es unmöglich oder unzumutbar ist, die Klage am Wohnsitz eines Ehegatten zu erheben. Sowohl die Unmöglichkeit als auch die Unzumutbarkeit können faktischer oder rechtlicher Natur sein.
Rz. 102
Das zuständige Gericht ist gem. Art. 62 IPRG auch zum Erlass vorsorglicher Maßnahmen (vgl. Art. 276 ZPO) befugt, sofern die Scheidungssache bereits bei ihm hängig ist und seine Unzuständigkeit weder als offensichtlich erscheint, noch rechtskräftig festgestellt wurde. Ist die Scheidungsklage noch nicht eingereicht worden, kann grundsätzlich auf die in Art. 10 IPRG statuierte allgemeine Maßnahmenzuständigkeit zurückgegriffen werden.
2. Auf die Scheidung anwendbares Recht
Rz. 103
Für das auf die Scheidung anwendbare Recht sieht Art. 61 IPRG vier Anknüpfungen vor: Haben beide Ehegatten Wohnsitz in der Schweiz, wendet der Richter schweizerisches Recht an. Dasselbe gilt grundsätzlich auch dann, wenn nur der Kläger (vgl. Art. 59 lit. a IPRG) oder nur der Beklagte (vgl. Art. 59 lit. b IPRG) in der Schweiz wohnhaft ist, es sei denn, die Ehegatten verfügen über eine gemeinsame Staatsangehörigkeit. Im letzteren Fall kommt das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten zur Anwendung (Art. 61 Abs. 2 IPRG), sofern dieses die Scheidung nicht nur unter außerordentlich strengen Bedingungen oder überhaupt nicht zulässt (Art. 61 Abs. 3 IPRG). Solchenfalls wendet der Richter die lex fori als Ersatzrecht an. Ist ein schweizerisches Gericht schließlich gestützt auf den subsidiären Heimatgerichtsstand (Art. 60 IPRG) mit der Scheidung befasst, wendet es schweizerisches Recht an (Art. 61 Abs. 4 IPRG).
3. Anerkennung im Ausland erfolgter Scheidungen
Rz. 104
Die Schweiz ist Signatarstaat des Haager Übereinkommens vom 1.6.1970 über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen. Gemäß dem in Art. 17 dieses Übereinkommens statuierten Günstigkeitsprinzip ist es einem Vertragsstaat nicht verwehrt, auf die Anerkennung im Ausland ergangener Ehescheidungen das günstigere, nationale Recht anzuwenden. Gestützt auf Art. 65 Abs. 1 IPRG werden ausländische Entscheidungen über die Scheidung in der Schweiz grundsätzlich anerkannt, wenn sie im Staat des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts oder im Heimatstaat eines Ehegatten ergangen sind. Darüber hinaus genügt mit Blick auf die Vermeidung hinkender Familienverhältnisse auch die bloße Anerkennung einer Scheidung durch einen dieser Staaten. Der Begriff "ausländische Entscheidung über die Scheidung" ist weit auszulegen. Es genügt, dass die Scheidung im Rahmen eines irgendwie gearteten Verfahrens, dem im Entscheidstaat offizieller Charakter zukommt, ausgesprochen wurde. Ob es sich dabei um ein richterliches, ein religiöses oder um ein Verwaltungsverfahren handelt, spielt keine Rolle. Ist die Scheidung in einem Staat ergangen, dem kein oder nur ein Ehegatte angehört, gilt dieses liberale Anerkennungsregime allerdings nur unter der Voraussetzung, dass zusätzlich eines der drei in Art. 65 Abs. 2 lit. a–c IPRG alternativ erwähnten Kriterien erfüllt ist.