Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
1. Erwerb der Erbschaft
Rz. 133
Mit dem Tod des Erblassers erwerben die Erben die Erbschaft als Ganzes – d.h. sowohl das Aktivvermögen als auch die Schulden (vgl. Art. 560 Abs. 2 ZGB) – von Gesetzes wegen (Art. 560 Abs. 1 ZGB). Die Erbschaft fällt den gesetzlichen wie den eingesetzten Erben demnach von selbst und ex lege, auch ohne ihr Wissen, zu (Grundsatz des eo-ipso-Erwerbs). Einer besonderen Annahme der Erbschaft durch die Erben bedarf es grundsätzlich nicht. In einer Erklärung, die Erbschaft annehmen zu wollen, ist daher regelmäßig nichts anderes als ein Verzicht der Erben auf die Ausschlagung zu erblicken.
Rz. 134
In drei Fällen verlangt das ZGB ausnahmsweise eine ausdrückliche Annahme der Erbschaft:
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bei offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit des Erblassers (Art. 566 Abs. 2 ZGB); |
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wenn die berufenen Erben zugunsten nachfolgender Erben ausschlagen (Art. 575 ZGB); |
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wenn die Nachkommen die Erbschaft ausschlagen und demzufolge der überlebende Ehegatte an deren Stelle die Annahme erklären kann (Art. 574 ZGB). |
In allen drei Fällen handelt es sich um überschuldete oder doch jedenfalls um wenig lukrative Erbschaften, so dass die Annahme nicht vermutet werden kann. Wird keine Annahmeerklärung abgegeben, gilt die Erbschaft als abgelehnt.
2. Ausschlagung der Erbschaft
Rz. 135
Die – gesetzlichen und eingesetzten – Erben haben die Befugnis, die ihnen zugefallene Erbschaft auszuschlagen (Art. 566 Abs. 1 ZGB). Die Ausschlagung ist schriftlich oder mündlich bei der gemäß dem anwendbaren kantonalen Recht zuständigen Behörde zu erklären (Art. 570 Abs. 1 ZGB). Die Ausschlagungserklärung hat innert einer Frist von drei Monaten (Art. 567 Abs. 1 ZGB) unbedingt und vorbehaltlos (Art. 570 Abs. 2 ZGB) zu erfolgen. Über die Ausschlagungen wird von der Behörde ein Protokoll geführt (Art. 570 Abs. 3 ZGB). Stirbt ein Erbe vor Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft, geht die Befugnis zur Ausschlagung auf seine Erben über (Art. 569 Abs. 1 ZGB), für welche die Frist neu läuft (Art. 569 Abs. 2 ZGB). Schlägt der erste Erbe die Erbschaft aus, beginnt für die an seine Stelle tretenden Erben ebenfalls eine neue Frist zu laufen (Art. 569 Abs. 3 ZGB). Aus wichtigen Gründen kann die Behörde die Ausschlagungsfrist verlängern oder eine neue Frist ansetzen (Art. 576 ZGB). Wird die Ausschlagung nicht frist- und formgerecht erklärt (Art. 571 Abs. 1 ZGB) oder hat sich ein Erbe vor Ablauf der Frist in Erbschaftsangelegenheiten eingemischt (Art. 571 Abs. 2 ZGB), verwirkt die Befugnis zur Ausschlagung.
Rz. 136
Mit der Ausschlagung entfällt die Erbenstellung des Ausschlagenden rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbgangs. Von der Ausschlagung nicht betroffen sind allfällige andere Zuwendungen des Erblassers an den Ausschlagenden (z.B. lebzeitige Zuwendungen und Vermächtnisse). Ein ausschlagender Miterbe wird so behandelt, wie wenn er vorverstorben wäre (Art. 572 ZGB). Für den Fall der Ausschlagung aller nächsten Erben finden sich Sonderregelungen in den Art. 573–575 ZGB. Verletzt eine Ausschlagung der Erben die Interessen der Erben- oder Erbschaftsgläubiger, greifen besondere Schutzbestimmungen ein (Art. 578 f. ZGB).
3. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung
a) Öffentliches Inventar
Rz. 137
Als Instrument der Haftungsbeschränkung für die Erben dient vorab das öffentliche Inventar (Art. 580–592 ZGB). Das Begehren um Errichtung des öffentlichen Inventars kann von jedem Erben gestellt werden, der zur Ausschlagung befugt ist (Art. 580 Abs. 1 ZGB), d.h. solange er weder die Erbschaft angenommen noch ausgeschlagen hat und weder die Befugnis verwirkt (Art. 571 Abs. 2 ZGB) noch die amtliche Liquidation verlangt hat (Art. 593 Abs. 1 ZGB). Das Begehren muss innert Monatsfrist bei der durch das kantonale Recht zu bestimmenden zuständigen Behörde angebracht werden (Art. 580 Abs. 2 ZGB). Für den Fristbeginn gelten dieselben Regeln wie bei der Ausschlagung (Art. 567 Abs. 2, Art. 569, Art. 571 Abs. 2 ZGB). Auch wenn nur einer von mehreren Miterben das Begehren stellt, erfasst das öffentliche Inventar die ganze Erbschaft (Art. 580 Abs. 3 ZGB).
Rz. 138
Nach Abschluss des Inventars hat jeder Erbe die Möglichkeit, sich innert einer Frist von einem Monat (vgl. Art. 587 ZGB) für eine der vier folgenden Alternativen auszusprechen:
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Ausschlagung der Erbschaft; |
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Begehren um amtl... |