Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
1. Abgrenzung
Rz. 149
Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung der Verfügungen von Todes wegen von den Rechtsgeschäften unter Lebenden ist der Zeitpunkt, in dem das Rechtsgeschäft seine Wirkungen entfalten soll. Während die Wirkungen der Rechtsgeschäfte unter Lebenden schon vor dem Tod des Verpflichteten eintreten – und allenfalls darüber hinaus fortgelten –, somit dessen Vermögen zu Lebzeiten betreffen, entfalten Verfügungen von Todes wegen ihre Wirkung erst im Nachlass des Verpflichteten.
2. Schenkung auf den Todesfall
Rz. 150
Soll ein Schenkungsversprechen erst im Zeitpunkt des Todes des Schenkers vollzogen werden, wird es von Gesetzes wegen den erbrechtlichen Vorschriften unterstellt (Art. 245 Abs. 2 OR). Das gilt auch bei einer Begünstigung eines Dritten durch Verwendung der Rechtsfigur des Vertrages zugunsten Dritter nach Art. 112 OR. Hier ist in der Praxis oftmals unklar, ob überhaupt eine Schenkung auf den Todesfall vorliegt oder ob die Schenkung bereits vollzogen ist. Liegt eine Schenkung unter Lebenden vor, entfällt die Anwendbarkeit der qualifizierten Formvorschriften der Verfügungen von Todes wegen, und es sind ggf. Herabsetzungs- und Ausgleichungsansprüche zu gewärtigen.
3. Begünstigungsklausel bei der Lebensversicherung
Rz. 151
Hat der Verstorbene eine Lebensversicherung auf sein eigenes Leben abgeschlossen und Begünstigte bezeichnet, erwerben diese ihren Anspruch gegenüber der Lebensversicherungsgesellschaft aus eigenem Recht und nicht aus Erbrecht (Art. 563 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 78 VVG). Die Begünstigten können die Versicherungssumme daher auch dann beanspruchen, wenn sie die Erbschaft ausschlagen (Art. 85 VVG). Ob und gegebenenfalls wie die Versicherungsleistungen bei der Berechnung des Nachlasses mit Blick auf den Pflichtteilsschutz zu behandeln sind, ergibt sich aus den Art. 476 und 529 ZGB, wonach nur der Rückkaufswert in die Pflichtteilsberechnung einbezogen wird. Die Tragweite dieser Bestimmungen ist jedoch im Einzelnen umstritten. Namentlich fragt sich, ob Art. 529 Abs. 1 ZGB eine abschließende Regelung für alle Lebensversicherungen normiert oder ob für Versicherungen ohne Rückkaufswert ein Einbezug der entrichteten Prämien oder der Versicherungssumme vertreten werden kann.
4. Transmortale und postmortale Vollmacht
Rz. 152
Zu diesen besonderen Vollmachten gehört zunächst die im Bankgeschäft weit verbreitete Vollmacht über den Tod hinaus (transmortale Vollmacht), mithin der von Art. 35 Abs. 1 OR u.a. vorgesehene Fall, in welchem eine Vollmacht bereits zu Lebzeiten des Vollmachtgebers erteilt wird und dessen Tod überdauern soll. Es handelt sich dabei um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das als solches nicht den für die Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften untersteht. Nachdem der Tod des Vollmachtgebers gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Art. 35 Abs. 1 OR keinen zwingenden Erlöschensgrund der Vollmacht begründet, ist für deren Fortwirkung über den Tod hinaus die Zustimmung der Erben nicht erforderlich. Allerdings können die Erben – und zwar jeder einzeln – die Vollmacht jederzeit widerrufen, so dass insofern die Vertretungsbefugnis des Bevollmächtigten auf unsicherer Grundlage steht. Die Vollmacht über den Tod hinaus bietet gegenüber der Willensvollstreckung den Vorteil, dass sie ohne große Formalitäten erteilt werden kann und das Treffen der vom Vollmachtgeber gewünschten Vorkehrungen bereits unmittelbar nach dessen Ableben ermöglicht. Im Gegenzug birgt die transmortale Vollmacht das Risiko, dass die Bank gemäß den Anordnungen des Vollmachtgebers "gutgläubig", d.h. ohne dass sie ein Verschulden trifft...