Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Versorgung mit Zahnimplantaten bei fehlender Ausnahmeindikation. Conterganschädigung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Kosten für Zahnimplantate sind bei einem Contergan-Geschädigten nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckt.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der den bewilligten Festzuschuss von 579,15 EUR übersteigenden Kosten (4.029,12 EUR) einer im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger gehört zum Personenkreis der Contergangeschädigten. Es bestehen bei ihm u.a. Missbildungen der beiden oberen Extremitäten. Aufgrund einer später erlittenen Kopfverletzung ist er in der Grobmotorik der (missgebildeten) Hände stark beeinträchtigt. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 (Merkzeichen B, G, aG) und erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe I).
Am 18.03.2010 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Zahnimplantatversorgung. Er legte hierzu einen vertragsärztlichen Heil- und Kostenplan (HKP) des Zahnarztes Dr. S. vom 11.01.2010 vor, des weiteren einen privatärztlichen HKP "Implantologie" für die Implantatversorgung von zwei Zähnen, in dem die dafür anfallenden Kosten auf ca. 4.500,00 EUR veranschlagt wurden.
Am 25.03.2010 setzte die Beklagte auf dem vertragsärztlichen HKP einen doppelten Festzuschuss nach der Härtefallregelung in Höhe von 579,14 EUR fest und teilte dem Kläger die Bewilligung dieses Betrages in einem Schreiben vom 25.03.2010 mit. Der Festzuschuss ist dem Kläger bisher nicht ausgezahlt worden.
Durch Bescheid vom 25.03.2010 lehnte die Beklagte die Übernahme der den bewilligten Festzuschuss übersteigenden Kosten einer Implantatbehandlung und eines implantatgeschützten Zahnersatzes ab mit der Begründung, es liege keine Ausnahmeindikation vor, die nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Beteiligung der Krankenkasse an diesen Kosten zulasse.
Dagegen legte der Kläger am 07.04.2010 Widerspruch ein: Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung seine beidseitige Armbehinderung durch Contergan und die damit verbundene Notwendigkeit von Implantaten nicht berücksichtigt.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 01.09.2010 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 09.09.2010 Klage erhoben.
Vom 27.04. bis 04.06.2010, im November und zuletzt am 16.12.2010 hat die Zahnimplantatbehandlung durch den Vertragszahnarzt Dr. T. (Zahnklinik N. Dr. S.) stattgefunden. Dafür sind dem Kläger durch Rechnungen vom 12.06., 27.11. und 31.12.2010 insgesamt 4.608,26 EUR in Rechnung gestellt worden. Hierauf hat der Kläger nach eigenen Angaben bereits mehr als 3.500,00 EUR gezahlt.
Der Kläger weist daraufhin, aufgrund seiner Conterganschädigung sei es - durch verstärkten Einsatz und Nutzung der Zähne, z. B. durch regelmäßiges Öffnen von Flaschen mit dem Mund - schon im Kindesalter zu starkem Verschleiß der Zähne gekommen. Er meint, zwischen dem zuständigen Bundesministerium und den Spitzenverbänden der Krankenkassen sei es zu einer Verständigung dahin gekommen, gegenüber Thalidomidgeschädigten unbürokratisch und unkompliziert zu verfahren. Der Kläger räumt ein, dass nach dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) keine Ausnahmeindikation für eine Zahnimplantatversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehe. Er ist aber der Auffassung, es liege ein Systemversagen vor. Jedenfalls habe der Richtliniengeber die besondere Situation der Contergangeschädigten nicht bedacht. Seine Situation wie auch die der übrigen Contergangeschädigten sei einem Unfall gleichzustellen. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1976 (BVerfGE 42, 263); darin habe das Gericht deutlich gemacht, der Gesetzgeber/Staat müsse dafür Sorge tragen, dass die Leistungen der Conterganstiftung auch künftig den Anforderungen gerecht würden. Des weiteren weist der Kläger auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 15. Mai 2008 hin. Er meint, aus dem Sozialstaatsprinzip und wegen der mit dem Conterganskandal verbundenen staatshaftungsrechtlichen Fürsorgeverpflichtung habe eine Gleichstellung mit Unfällen als besonders schweren Fall im Sinne einer Ausnahmeindikation nach den Behandlungsrichtlinien des G-BA zu erfolgen. Er selbst könne wegen seiner Behinderung herausnehmbare Zahnprothesen weder einsetzen noch aus dem Mund herausnehmen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 zu verurteilen, die Kosten seiner im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung auch über den zugesagten Festzuschuss von 579,14 EUR hinaus zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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