Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Kostenübernahme von Dronabinol-Tropfen bei Multiple Sklerose

 

Orientierungssatz

1. Die Krankenkassen haben die Kosten von Dronabinol-Tropfen zur Behandlung der Multiplen Sklerose nicht zu übernehmen, da diese nicht zur medizinischen Standardtherapie gehören und Nachweise einer höheren und besseren Wirksamkeit durch anerkannte randomisierte Phase-III-Studien nicht vorliegen.

2. Auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = NZS 2006, 84 lässt sich ein Kostenübernahmeanspruch nicht ableiten, da mit der Multiplen Sklerose zwar eine schwere, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche und regelmäßig tödliche Erkrankung vorliegt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.

Der am 00.00.1959 geborene Kläger leidet seit 1991 an einer schubförmig progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (MS). Im Verlauf der Erkrankung entwickelte sich eine schmerzhafte spastische Lähmung beider Beine, durch die der Kläger dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Die Behandlung der Schmerzen und Spastiken mit Cortison, Analgetika und Spasmolytika blieb ohne Erfolg.

Vom 17.11. bis 15.12.2005 wurde der Kläger im Neurologischen Rehabilitationszentrum H in C stationär behandelt. Neben Krankengymnastik und Ergotherapie unternahmen die dortigen Ärzte einen Behandlungsversuch mit Dronabinol-Tropfen in 2,5 %iger öliger Lösung. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydroncannabinol) ist der Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit dem Jahr 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol ® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen, das gemäß § 73 des Arzneimittelgesetzes im Inland verordnet und importiert werden kann. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen. Einen Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Marinol ® hatte die Beklagte bereits im Jahre 2003 bestandskräftig abgelehnt. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vom 22.12.2005 führten die behandelnden Ärzte aus: "Hinsichtlich der Problematik der ausgeprägten Spastik wurde ein Therapieversuch mit Dronabinoltropfen in 2,5%iger öliger Lösung durchgeführt. Hier zeigte sich schon unter geringer Dosierung ein sehr guter Effekt. Der Patient berichtete, zum ersten Mal sein langer Zeit wieder schmerzfrei und ohne einschießende Spastik zu sein ...Gegen Ende des Aufenthaltes berichtete der Patient über erstmalig wieder mögliche Willkürmotorik in den Beinen. Das Ziel, wieder auf den Beinen stehen zu können, war bislang noch nicht erreicht worden. Wegen diesen guten Erfolges empfehlen wir, die medikamentöse Behandlung mit Dronabinol zur Schmerz- und Spastikreduktion und damit Verhinderung von Folgeerkrankungen weiter fortzuführen."

Daraufhin beantragte der Kläger am 19.01.2006 die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Dronabinol. Er legte befürwortende Stellungnahmen seines Hausarztes Dr. Q vom 12.01.2006 und seiner Physiotherapeuten vom 13.01.2006 sowie den Entlassungsbericht der Reha-Klinik H vor.

Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme von Dr. Q vom 06.02.2006 und eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK-Arzt Dr. N kam am 21.02.2006 zum Ergebnis, es gebe derzeit keine gesicherte Evidenz, dass der medizinische Einsatz von Cannabis/Cannabinoiden zur Behandlung der Spastik den vorhandenen etablierten medikamentösen Therapiestandards überlegen wäre; es bestehe die Möglichkeit einer Behandlung mit Baclofen ®; eine Therapie mit Dronabinol 2,5% Tropfen sei nicht als medizinischer Standard anzusehen. Zwar sei durch die Erkrankung die Lebensqualität des Klägers auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt; eine akut lebensbedrohliche Erkrankung liege jedoch nicht vor.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 15.03.2006 ab.

Den dagegen am 20.03.2006 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2006 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 02.06.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, alle Medikamente, die er bisher genommen habe, hätten starke Nebenwirkungen gehabt; Baclofen ® habe u.a. zu starken Sehproblemen geführt. Einzig Dronabinol habe Erfolg gebracht; schon 48 Stunden nach der ersten Einnahme sei er (fast) schmerzfrei gewesen. Seitdem er das Medikament nicht mehr bekomme, habe er wieder unerträgliche Schmerzen.

Der Kläger verweist auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 05.07.2006, ...

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