Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Ermittlung des Einkommens eines selbständig tätigen Grundsicherungsempfängers. Anforderung an die Einkommensschätzung durch den Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Die Schätzung des Einkommens eines selbständig tätigen Empfängers von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende im Rahmen der Bedarfsermittlung durch den Grundsicherungsträger ist gerichtlich voll überprüfbar. Sie muss schlüssig und wirtschaftlich möglich sein und hat der tatsächlichen Situation möglichst nahe zukommen (Anschluss LSG Halle (Saale), Beschluss vom 08. November 2010 - L 5 AS 200/10 B ER).
2. Bei der Schätzung der Einnahmen eines selbständig tätigen Grundsicherungsempfängers durch den Grundsicherungsträger hat dieser grundsätzlich alle relevanten Betriebsausgaben einschließlich Ausgaben für Investitionen und Mieten zu berücksichtigen. Soweit der Grundsicherungsträger einzelne Ausgangswerte für seine Schätzung, die er den tatsächlichen Nachweisen des Grundsicherungsempfängers entnimmt, für unangemessen hoch hält, kann er diese Ausgaben bei der Einkommensschätzung nicht unberücksichtigt lassen sondern muss zumindest von ihm als angemessen angesehene Ausgaben einbeziehen.
3. Einzelfall zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Einkommensschätzung durch den Grundsicherungsträger bei fehlenden aussagekräftigen Unterlagen über die aktuelle Einkommenssituation eines selbständig tätigen Grundsicherungsempfängers (hier: verneint).
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2013 verpflichtet, die Kläger für den Leistungszeitraum April bis September 2012 unter Berücksichtigung der Anlagen des Antrages nach § 44 Abs. 1 SGB X neu zu bescheiden.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger dem Grunde nach.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Überprüfung im Rahmen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einkommenshöhe aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Zeitraum von April bis September 2012.
Die Kläger stehen als Bedarfsgemeinschaft seit 2010 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), seit Februar 2012 beim Beklagten. Seit dieser Zeit ist der Kläger zu 1) selbstständig erwerbstätig und bietet Hausmeisterdienste und Bauleistungen (Trockenbau) an. Nach dem Umzug der Kläger in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten bewilligte dieser den Klägern aufgrund deren Antrages vom 29.03.2012 mit Bescheid vom 30.04.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 491,24 EUR monatlich von April bis September 2012. Diese Bewilligung erfolgte auf der Grundlage der von den Klägern eingereichten prognostischen Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vorläufig und vorbehaltlich einer späteren endgültigen Festsetzung auf der Grundlage des tatsächlichen Einkommens. Die Kläger wurden zugleich darauf hingewiesen, dass, wenn Einnahmen und Ausgaben des Bewilligungszeitraumes innerhalb von zwei Monaten nach dessen Ablauf nicht nachgewiesen werden, vom Leistungsträger geschätzt werden können.
Am 24.09.2012 beantragten die Kläger Leistungsweiterbewilligung ab Oktober 2012 und legten zugleich eine prognostische Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit - datiert auf den 05.09.2012 - für den Zeitraum von März bis August 2012 vor. In Anlehnung an diese Grundlage (Gewinn nach prognostischer Anlage EKS durchschnittlich rund 811 EUR, vom Beklagten angesetzt 900 EUR abzüglich Freibeträge nach § 11 b Abs. 2,3) bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 27.09.2012 für den folgenden BWZ (Oktober 12- März 13) vorläufig Leistungen in Höhe von 276,24 EUR monatlich.
Mit Schreiben vom selben Tage (27.09.2012) forderte der Beklagte die Bedarfsgemeinschaft der Kläger auf, den Nachweis des tatsächlichen Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit für den Zeitraum von März bis September 2012 durch Vorlage der Betriebswirtschaftlichen Auswertung, Einnahmen-Überschuss-Rechnung bzw. Gewinn- und Verlustrechnung ihres Steuerberaters inklusive deren Anlagen zu führen. Mit weiterem Schreiben vom 10.12.2012 erneuerte der Beklagte seine Aufforderung und wies nochmals auf die Möglichkeit einer Schätzung in Ermangelung tatsächlicher Nachweise hin. Bei der Schätzung sei von einem recht hohen Einkommen auszugehen. Ein sich ergebender Überzahlungsbetrag sei dann zurückzufordern. Dazu gab er Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Bescheid vom 14.01.2013 setzte der Beklagte schließlich Leistungen für den Bewilligungszeitraum von April bis September 2012 unter Schätzung des Einkommens des Klägers zu 1) endgültig fest. Dabei verblieb ein Leistungsanspruch der Kläger von 13,74 EUR monatlich. In der Begründung führte der Beklagte aus, Grundlage der Schätzung sei zum einen die von den Klägern vorgelegte Einkommensaufstellung vom 05.09.2012 (s.o.). Weiterhin müsse der Beklagte die Tatsache berücksichtig...