Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Palliativ-Behandlungspflege
Orientierungssatz
1. Nach § 37 SGB 5 erhalten Versicherte in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege ua Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Hierzu zählt die ambulante Palliativversorgung.
2. Versicherte mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung haben bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, wenn sie eine besonders aufwändige Versorgung benötigen, nach § 37b SGB 5 Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung.
3. Die von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährende Palliativbehandlung bzw -pflege setzt dann ein, wenn Heilung und Genesung für den Patienten keine Option mehr bieten. Dann geht es darum, urmenschliche Bedürfnisse in einer ultimativen Situation zu befriedigen. War die Pflege aufgrund des unheilbaren Zustands des Versicherten erforderlich, so ist der Krankenversicherungsträger zur Kostenübernahme verpflichtet.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2012 verurteilt, die Kläger von den Forderungen der Beigeladenen wegen Leistungen der Häuslichen Krankenpflege ("Palliativ-Behandlungspflege") des Versicherten M.Y. in der Zeit vom 01.10. bis 03.12.2010 in Höhe von 1.848,00 EUR freizustellen.
Die notwendigen Kosten der Kläger und der Beigeladenen trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Freistellung der Forderung des beigeladenen Pflegedienstes wegen der Pflege eines Versicherten der Beklagten vom 01.10. bis 03.12.2010 in Höhe von 1.848,00 EUR.
Die Kläger sind die Kinder und Alleinerben des am 00.00.000 geborenen und am 00.00.0000 verstorbenen M. Y. (im Folgenden: Versicherter). Zuletzt bestand bei diesem eine kardiale Globaldekompensation bei progredienter Raumforderung des rechten Vorhofes/DD Thrombus, eine koronare 3-Gefäßerkrankung mit hochgradiger, nicht bypassgeschützter RCA-Stenose, eine Tachyarrhytmia absoluta mit großer Raumforderung, eine Niereninsuffizienz im Stadium IV, eine Depression sowie ein Zustand nach mehreren Operationen (1995: thorakales Aortenaneurysma; 2006: Nierenbeckenkarzinom; 2007: Harnblasenkarzinom). Als sich aufgrund einer Echokardiographie während einer Krankenhausbehandlung im August 2010 der Verdacht auf ein Vorhofmyxom rechts ergab, lehnte der Versicherte nach Aufklärung über mögliche Risiken und Komplikationen eine weitere Diagnostik, z.B. durch transösophageale Echokardiographie, ab. Am 23.08.2010 schlossen der Versicherte und die Beigeladene einen Vertrag über ambulante Palliativpflege. Diese Pflege erbrachte die Beigeladene - mit Unterbrechungen - vom 23.08.2010 bis zum Tod des Versicherten am 13.02.2011. Vom 19. bis 27.10.2010 war der Versicherte in Krankenhausbehandlung wegen zunehmender Atemnot; die Ärzte stellten eine Größenzunahme des rechten Vorhofmyxom/DD Thrombus und eine hochgradige RCA-Stenose fest. Im Entlassungsbericht des Krankenhauses heißt es: "Nach reiflicher Überlegung seitens des Patienten und mehrfachen intensiven Gesprächen lehnte Herr Wilden eine operative Sanierung ab. Über das Risiko des Versterbens am plötzlichen Herztod sind der Patient und die Hausärztin informiert. Bereits im hausärztlichen Bereich hatte Herr Wilden eine Reanimation abgelehnt. Somit ist die weitere medikamentöse Therapie als eine palliative Therapie zu sehen, ein Einbringen in das Palliativprogramm erfolgte bereits durch die Hausärztin."
Die Palliativpflege des Versicherten durch die Beigeladene erfolgte zunächst vom 23.08. bis 03.12.2010 im Rahmen der "Allgemeinen ambulanten Palliativversorgung" (AAPV), vom 20.12.2010 bis 31.01.2011 im Rahmen der "Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung" (SAPV) und zuletzt wieder vom 01. bis 13.02.2011 im Rahmen der AAPV. Während die AAPV im Rahmen häuslicher Krankenpflege (HKP) gem. § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erbracht und direkt mit den Krankenkassen abgerechnet wird, wird die SAPV gem. § 37b SGB V erbracht und über ein Palliativ-Care-Team, z.B. Home Care, mit der kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet.
Erstmals am 24.08.2010 verordnete die Hausärztin Dr. Q. HKP in Form von zweimal täglicher Palliativbehandlung für die Zeit vom 23. bis 31.08.2010. Durch Bescheid vom 13.09.2010 bewilligte die Beklagte diese Leistung entsprechend der Verordnung. Am 30.08.2010 verordnete Dr. Q. HKP in Form von zweimal täglicher Symptomkontrolle für den September 2010. In einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) der Beklagte kam Dr. N. am 07.09.2010 zum Ergebnis, beim Versicherten bestehe keine Erkrankung, bei der davon ausgegangen werden müsse, dass die Lebenserwartung nur noch sehr begrenzt sei; somit seien die Voraussetzungen einer Palliativpflege nicht erfüllt; es seien weder Sicherungspflege noch Palliativpflege durch einen Pflegedienst erforderlich. Gestützt hierauf be...