Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Misshandlungen als Kind im Kinderheim. lange zurückliegende Zeit. Beweiserleichterung. Glaubhaftmachung. Wahrscheinlichkeit. Aussagepsychologie. Härteregelung
Orientierungssatz
1. Es besteht kein Anspruch auf Opferentschädigung nach § 1 OEG, wenn es selbst im Rahmen der Glaubhaftmachung nach § 15 KOVVfG mit aussagepsychologischen Gründen nicht (mehr) möglich ist, ausreichend zu begründen, dass eine Wahrscheinlichkeit für die behaupteten Taten (hier körperliche und sexuelle Misshandlungen in der Kindheit in einem Kinderheim) in dem Sinne besteht, dass ernste Zweifel hinsichtlich anderer Möglichkeiten ausscheiden.
2. Eine Opferentschädigung für Gewalttaten vor dem 15.5.1976 setzt nach § 10a OEG voraus, dass das Opfer allein infolge der Schädigung schwerbeschädigt ist, also zumindest ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 besteht (hier verneint).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der am 00.00.0000 geborene Kläger stellte bei dem Beklagten, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 17.05.2013 einen Antrag nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG). Hierin trug er vor, er sei in der Zeit vom 29.04.1963 bis zum Verlassen des Heimes mit 19 Jahren im Kinderheim S. in E. vollstationär untergebracht gewesen. Dort habe er schwer für das Heim auf dem Feld und in der Küche arbeiten müssen und sei durch die dortigen Heimerzieher massiv körperlichen Züchtigungen, Misshandlungen und umfangreichem sexuellen Missbrauch sowie körperlichen und psychischen Demütigungen ausgesetzt gewesen. Er leide bis zum heutigen Zeitpunkt krankheitsbedingt unter diesen Beeinträchtigung, insbesondere unter den sexuellen Missbrauch und den Misshandlungen physisch und psychisch. Bei ihm bestehe eine Schwerbeschädigung im Sinne des § 10a OEG. Dem Antrag beigefügt war eine sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes der Agentur für Arbeit Dr. N. vom 12.11.2012, wonach der Kläger voraussichtlich auf Dauer täglich weniger als 3 Stunden arbeiten könne.
Mit Antrag vom 05.06.2013 machte der Kläger weitere Angaben zu den Zuständen im Kinderheim und zu diversen weiteren Misshandlungen körperlicher und seelischer Art. So schilderte er u.a., er habe die ersten Jahre seines Lebens in Säuglingsheimen, anschließend - ab dem dritten Jahr - in einem Kinderheim verbracht. 1957 sei er dann aus dem Heim nach Hause geholt worden. Dort sei Gewalt an der Tagesordnung gewesen. Er selbst habe gesehen wie seine Mutter vom Stiefvater "im Suff" vergewaltigt worden sei, und Prügel hätten zu seinem Leben gehört. Sein Stiefvater und seine Mutter hätten ihn verprügelt und für Stunden im Keller eingesperrt. Er könne sich noch heute erinnern, wie seine Mutter mit einer Nachttischlampe auf ihn eingeschlagen habe. Nach der Scheidung der Ehe habe seine Mutter ihre Launen und "sadistische Züge" an ihm ausgelassen. Habe er sich dabei aus Sicht der Mutter fehl verhalten, sei Prügel die Konsequenz gewesen. Jeden Sonntag seien sie zur seinem Großvater gegangen. Auch dort habe es Prügel gegeben, teilweise auch mit einem Wasserschlauch. Sein Großvater und seine Mutter hätten ihn auch stundenlang auf einem dunklen Speicher eingesperrt und ihn dort in Verkleidung ("als Hexen") geängstigt. Dieser Großvater habe ihn auch als erster sexuell missbraucht als er neun Jahre alt gewesen sei. Der Großvater habe sein Geschlechtsteil herausgeholt und den Kläger aufgefordert dieses zu reiben. Der Geruch des Geschlechtsteils verfolge ihn bis heute mit Ekel und Erbrechen. Im Jahr 1963 sei er dann in das S. in E. verbracht worden. Leiterin der Gruppe sei eine Schwester S. der Missionsschwestern vom G. G. H. gewesen. Daneben habe es bei einer Gruppe von 50 Kindern lediglich einen Erzieher gegeben. Züchtigungen und drakonische Strafen seien an der Tagesordnung gewesen. Es habe Schläge mit der Hand in das Gesicht oder mit einem Rohrstock gegeben, auch bei Nichterfüllung von Arbeiten, die die Kinder hätten verrichten müssen. Eine "beliebte Strafe" sei das Hineinhalten des Kopfes in die Toilette gewesen. Neben physischen Misshandlungen habe es auch psychische Misshandlungen gegeben. Der Kläger und sein damaliger Freund, B. E., seien beide im Alter von 11 Jahren mit verschiedenen Gegenständen geschlagen worden (Gürtel, Handfeger). Dabei habe man ihn ans Bett gefesselt. Heute sei er sich sicher, dass diese Fesseln teilweise über mehrere Tage angelegt worden seien, verbunden mit Entzug von Essen und Trinken. Die Züchtigungen seien durch die Schwester erfolgt. Die Schwester habe auch sein Geschlechtsteil in die Hand genommen und es hin und her gerieben. Sie habe auch mit einem Stock darauf geschlagen. Im Alter von zwölf Jahren habe ihm der Erzieher, nach Abschluss des Sportunterrichts, in einen Raum gedrängt und diesen abgeschlossen. Der Kläger habe Panik bekommen, sei aber mit wenigen Handgriffen geknebelt und gefesselt gewesen. Daraufhin habe der ...