Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Versorgung mit einem Therapie-Tandem
Orientierungssatz
1. Ein Therapie-Tandem ist als Hilfsmittel von der Krankenversicherung dann nicht zur Verfügung zu stellen, wenn weniger aufwändigere oder wirtschaftlichere Therapiemaßnahmen zur Verfügung stehen, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Hierzu gehört bei einem geistig und körperlich Behinderten die Krankengymnastik.
2. Soweit das Therapie-Tandem zum Zurücklegen längerer Wegstrecken an der frischen Luft genutzt werden soll, beschränkt es sich auf eine bloße Freizeitbetätigung. Diese zählt nicht zu den Grundbedürfnissen, die von der Krankenversicherung sicherzustellen sind.
3. Zur Integration in Gruppen Gleichaltriger als einem Grundbedürfnis von Kindern ist das Therapie-Tandem ungeeignet, weil die Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson von Kindern und Jugendlichen üblicherweise nicht akzeptiert wird.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Therapie-Tandem nebst Zusatzausstattung.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist über seine Mutter bei der Beklagten familienkrankenversichert. Aufgrund einer Trisomie 8 ist er geistig und körperlich behindert und als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 80. Er erhält wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I. Er lebt mit seinen Eltern und einer älteren Schwester zusammen und besitzt ein (Therapie-)Dreirad.
Im September 2008 beantragte der Kläger die Versorgung mit einem Therapie-Dreirrad-Tandem der Firma I. Er legte hierzu eine befürwortende Bescheinigung des Orthopäden Dr. C. vor, der das therapeutische Tandem für die motorische, geistige und soziale Entwicklung des Klägers (vor allem in der Familie) für sinnvoll und zweckmäßig hielt; dadurch habe der Kläger die Möglichkeit, seinen Freiraum zu erweitern, und könne an selbstständige Fortbewegungen herangeführt werden. Der Kläger legte dazu eine entsprechende Hilfsmittelverordnung des Arztes vom 19.06.2008 und einen Kostenvoranschlag der Firma S. vom 24.09.2008 über 5.417,05 EUR vor.
Durch Bescheid vom 27.11.2008 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung ab mit der Begründung, das Therapie-Tandem sei nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern; hierfür sei regelmäßig Krankengymnastik geeigneter. Auch zur Befriedigung von Grundbedürfnisses im Sinne der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums sei das Tandem nicht erforderlich; der Nahbereich sei entweder mit dem vorhandenen Rollstuhl oder mit dem vorhandenen Therapie-Dreirad ausreichend erschließbar. Auch zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der sozialen Integration in Gruppen Gleichaltriger sei die Versorgung mit einem Therapie-Tandem nicht geeignet, da stets die Anwesenheit einer aufsichtsführenden Begleitperson erforderlich und somit der durch die Versorgung erzielbare Effekt im Hinblick auf die Integration gering einzuschätzen sei.
Dagegen legte der Kläger am 29.12.2008 Widerspruch ein. Er räumte ein, geistig nicht in der Lage zu sein, alleine eine Wegstrecke zu bewältigen; die Befriedigung des Grundbedürfnisses der sozialen Integration in Gruppen Gleichaltriger sei bei ihm nur in Begleitung möglich. Er könne aber nicht lange laufen, weil die Füße schmerzten. Er bewege sich zu Fuß nicht viel, werde träge und neige zu Adipositas. Wenn er mit seinem Dreirad, an dem hinten eine Hundeleine angebracht sei, zu einer Gruppe gebracht werde, sei dies nicht sozial und seelisch förderlich.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 09.04.2009 Klage erhoben. Er trägt vor, das Therapie-Tandem werde von ihm gebraucht, um seinem Bewegungsdrang genüge zu tun, um sich in die Gruppe Gleichaltriger zu integrieren und um im Familienverbund Ausflüge machen zu können. Der Umstand, dass er ständig Begleitpersonen bei sich haben müsse, schließe eine Integration im Kreise Gleichaltriger nicht aus.
Der Kläger beantragt dem Sinne seines schriftsätzlichen Vorbringens nach,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2009 zu verurteilen, ihn mit einem Therapie-Tandem nebst Zusatzausstattung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre in den angefochtenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung.
Das Gericht hat von der Firma S. Informationsmaterial und eine Produktbeschreibung über das beantragte Therapie-Dreirad-Tandem Copilot 3/26 der Firma I. beigezogen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakt...