Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung einer überzahlten Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch einen Erben. Erfordernis einer gesonderten Aufhebungs- und Rücknahmeentscheidung zur wirksamen Geltendmachung einer Erstattungsforderung gegenüber einem Erben. Regelungsgehalt eines gegenüber einem Rechtsnachfolger allein die Erstattungspflicht unter Hinweis auf die Erbenhaftung feststellenden Bescheides
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rücknahme- und Erstattungsbescheid betreffend überzahlte Rentenleistungen verliert seine regelnde Wirkung nicht mit dem Tod des Bescheidadressaten.
2. Tritt der Erbe nicht in das anhängige Klageverfahren ein, so kann der Rücknahme- und Erstattungsbescheid diesem gegenüber nicht in Bestandskraft erwachsen. Der Rentenversicherungsträger kann die Erstattungsforderung nur dann gegenüber dem Erben wirksam geltend machen, wenn diesem gegenüber eine gesonderte Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidung ergeht.
3. Ein Bescheid, der gegenüber dem Erben allein die Erstattungspflicht unter Hinweis auf die Erbenhaftung feststellt, enthält keinen Verfügungssatz zur Rücknahme des ursprünglichen Rentenbescheides.
Tenor
Der Bescheid vom 29.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 22.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Streitwert wird auf 6.938,06 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen eine Erstattungsforderung der Beklagten, die auf eine Überzahlung von Witwenrente an die Mutter des Klägers zurückgeht.
Die zwischenzeitlich verstorbene Mutter des Klägers, R B1, beantragte nach dem Tod ihres Ehemannes B B2 im Jahr 2001 Witwenrente. Sie selbst war als Lehrerin tätig und hatte Bezüge aus einem Beamtenverhältnis, die auf den Anspruch auf Witwenrente angerechnet wurden. Von 2001 bis 9/2005 wurde der Witwe eine Rente bewilligt und gezahlt. Ab 10/2005 ergab sich, wegen Wegfalls der Kinderfreibeträge und Anrechnung eigenen Einkommens, kein Rentenzahlbetrag mehr. In 2/2011 forderte die Beklagte bei B1 Einkommensnachweise ab 2008 an, um die Anrechnung zu prüfen. Hierauf erfolgte zunächst keine Reaktion. Am 05.11.2011 sprach Frau B. bei der Beklagten vor und stellte einen Überprüfungsantrag zu ihrem Anspruch auf Witwenrente. Es wurde der Vordruck R665 ausgehändigt und mit gesonderten Schreiben in 1+6/2012 an die Vorlage von Einkommensnachweisen erinnert. Eine Reaktion der B1 hierauf ist aus der Verwaltungsakte aber nicht ersichtlich.
Mit an B1 gerichteten Bescheid vom 06.05.2013 wurde dieser mitgeteilt, dass die bisherige große Witwenrente ab 01.07.2013 neu berechnet werde. Es ergab sich ein Rentenbetrag von monatlich 7,45 Euro. Im Bescheid ist eine Einkommensanrechnung mit einem Einkommen wie in 2005 aufgenommen, aber keine weitere Erläuterung hierzu erfolgt. In einem Schreiben vom 28.08.2013 ging die Beklagte auf eine Anfrage von B1 vom 18.07.2013 (die nicht aktenkundig ist) ein und machte Ausführungen zum aktuellen Freibetrag für eine Hinterbliebenenrente und zur grundsätzlichen Berechnung des Zahlbetrags.
Mit Bescheid vom 22.05.2014 wurde B1 mitgeteilt, dass ihre große Witwenrente ab 01.07.2014 neu berechnet wurde und laufend monatlich 540,51 Euro gezahlt werden. Die Anlagen 1 und 8 enthielten nur unvollständige Angaben und kein konkret berücksichtigtes Einkommen. Genauso verhielt es sich auch mit den Bescheiden vom 21.05.2015 und 26.05.2016, mit denen der Zahlbetrag der Rente ab 01.07.2015 auf monatlich 554,02 Euro und ab 01.07.2016 auf monatlich 587 Euro festgesetzt wurde.
Zur Akte gelangten diese Bescheide nicht, aber Zahlungsaufträge für die Leistungen ab 2014. Im Zusammenhang mit der Beantragung von Altersrente wurde die Beklagte auf die Witwenrentenzahlungen aufmerksam und forderte Verdienstnachweise ab 2005 von der Landesfinanzdirektion an. Auf dieser Grundlage berechnete sie die B1 zustehende Rentenhöhe neu, wobei sich ergab, dass bis 2008 ein geringer Zahlbetrag, ab 2009 kein Zahlungsanspruch mehr gegeben war. Es ergab sich eine Überzahlung von 14.100,53 Euro. Am 25.08.2016 hörte die Beklagte B1 zur beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 06.05.2013 und Rückforderung der Überzahlung an. Hierzu nahm diese am 10.09.2016 Stellung und verwies auf ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen und offenen Darlehensschulden. Mit an B1 gerichteten Bescheid vom 30.11.2016 nahm die Beklagte den Bescheid vom 06.05.2013, mit dem ein Anspruch auf große Witwenrente zuerkannt wurde, für die Zeit ab 01.07.2013 teilweise zurück gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X. Für die Zeit bis 31.08.2016 ergebe sich eine Überzahlung von 14.100,53 Euro, die gemäß § 50 SGB X zu erstatten sei. B1 habe die Rechtswidrigkeit der ausgezahlten Rente erkennen können, da sich an ihrem Einkommen nichts geändert habe, was die Wiederaufnahme der Zahlungen hätte rechtfertigen können. Hiergegen legte B1 am 29.12.2016 Widerspruch ein, den ihr Bevollmächtigter am 10.03.2017 mit bestehenden...