Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. Restgehvermögen von mehr als 200 Metern. kein Nachteilsausgleich für Unfähigkeit zum Tragen schwerer Einkäufe
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung, Merkzeichen aG.
Orientierungssatz
1. Ein regelmäßiges Gehvermögen von mindestens 200 Metern übersteigt deutlich das Gehvermögen von Menschen, die ab dem ersten Schritt große Mühe haben, sich fortzubewegen oder dies nur mit fremder Hilfe oder im Rollstuhl tun können.
2. Für die Unfähigkeit, (zB beim Einkauf) Lasten über längere Wegstrecken zu tragen, ist kein zusätzlicher Nachteilsausgleich iS des § 69 SGB 9 vorgesehen.
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2012 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB ) als 70 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens aG,
Nachdem dem am 1945 geborenen Kläger mit Abhilfebescheid vom 12.12.2008 ein GdB von 60 mit Merkzeichen G zugesprochen worden war, hatte der Kläger unter dem Aktenzeichen S 8 SB 48/09 ein Klageverfahren auf Zuerkennung des Merkzeichens aG durchgeführt, welches nach Einholung von Sachverständigengutachten nach §§ 106 und 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (Dr. H., Dr. D.) mit Abweisung der Klage durch Gerichtsbescheid vom 30.03.2011 endete.
Auf nachfolgenden Antrag vom 21.04.2011 war dem Kläger dann mit Bescheid vom 06.05.2011 ein GdB von 70 zuerkannt worden, wegen
1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen, Bandscheibenschäden, Wirbelsäulenverformung, Spinalkanalstenose, Nervenwurzelreizerscheinungen, Postnukleotomiesyndrom der Lendenwirbelsäule
(Einzel-GdB: 30).
2. Knorpelschäden beider Kniegelenke, links stärker als rechts, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, rechts stärker als links bei Coxarthrose, chronische venöse Insuffizienz links durch Verbrennungsfolgen am linken Bein
(Einzel-GdB: 30)
3. Psoriasisarthritis mit Gelenkbeteiligung (Schultergelenke, Handgelenke)
(Einzel-GdB: 20)
4. Bronchialasthma, Mitralklappenprolaps
(Einzel-GdB: 20)
5. Seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom
(Einzel-GdB: 20)
Am 27.12.2011 stellte der Kläger erneut Antrag auf einen GdB von mindestens 80 und Zuerkennung des Merkzeichens aG.
Der Beklagte zog daraufhin den Behandlungsbericht des Gesundheitszentrums S. über die stationäre Heilbehandlung vom 29.11.2011 bis 20.12.2011 bei.
Mit Bescheid vom 24.01.2012 lehnte er eine Höherbewertung des GdB ab. Die Gesundheitsstörungen hätten sich abgesehen von einem künstlichen Gelenkersatz der rechten Hüfte, der sich auf die Bewertung der Gesundheitsstörung Nummer 2 nicht auswirke, nicht verändert. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG oder des sogenannten "Bayern-aG" lägen nicht vor.
Hiergegen erhob der Kläger am 15.02.2012 Widerspruch. Der Kläger sei aufgrund der Funktionsstörungen der Wirbelsäule erheblich eingeschränkt und sei beispielsweise beim Einkauf auf nahe gelegene Parkplätze angewiesen.
Daraufhin holte der Beklagte einen ausführlichen ärztlichen Befundbericht des Dr. D. vom 22.03.2012 bei. Nach Einholung einer Versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Dr. K. vom 13.04.2012 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2012 als unbegründet zurück. Die Gesundheitsstörungen des Klägers hätten sich im Vergleich zum Bescheid vom 06.05.2011 nicht verändert und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG oder Bayern-aG lägen nicht vor.
Hiergegen erhob der Kläger am 16.05.2012 Klage. Die rheumatischen Beschwerden und Schmerzen hätten sich verschlimmert, insbesondere im LWS-Bereich, aber auch im Bereich der Knie und der linken Hüfte. Eine Entscheidung ohne persönliche Untersuchung sei ungerecht, dem Kläger stünde eine Erleichterung für das Einkaufen oder sonstige Besorgungen zu.
Das Gericht zog das Verfahren S 8 SB 48/09 bei und holte den Befundbericht des Dr. F. vom 23.08.2012, des Dr. D. vom 27.08.2012 und des Dr. E. vom 28.09.2012 ein.
Dr. F. berichtet darin von multiplen Arthralgien des Klägers im Bereich der Schultern, Hüften, Knie und Händen bei Lumboischialgien, durch welche der Kläger in seiner Gehstrecke auf maximal 1 bis 2 km beschränkt sei. Das Tragen von Lasten, wie zum Beispiel beim Einkaufen, sei praktisch nicht möglich.
Mit ärztlicher Stellungnahme vom 29.10.2012 bescheinigte Dr. D. eine Einschränkung der Gehstrecke insbesondere für Steigungen. Hilfsmittel würden nicht verwendet, die Mobilität in der Wohnung sowie im näheren Umfeld sei ohne Einschränkung möglich.
Mit Schreiben vom 31.10.2012 legte das Gericht dem Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens aG ausführlich dar.
Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 14.11.2012 an der Klage festhielt, beauftragte das Gericht Dr. B. mit der Erstellung des fachort...