Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage an das BVerfG. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. selbst genutztes Hausgrundstück. Überschreitung der angemessenen Größe nach Auszug der Kinder. Verfassungswidrigkeit der Berücksichtigung des ursprünglichen Schonvermögens

 

Orientierungssatz

Dem BVerfG wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 12 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB 2 iVm § 12 Abs 3 S 2 SGB 2 (jeweils in der Fassung des Gesetzes vom 13.5.2011, gültig ab 1.4.2011, BGBI I 2011, 850 ff) insoweit mit Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG und Art 20 Abs 1 GG vereinbar, als für Leistungsberechtigte, die Kinder erzogen haben, der Verwertungsschutz für selbst genutzte Hausgrundstücke von angemessener Größe nicht eingreift, weil sie beim Bau bzw Erwerb des Hauses auch den Wohnbedarf ihrer Kinder decken mussten?

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 28.04.2022; Aktenzeichen 1 BvL 12/20)

 

Tenor

I. Das Verfahren wird gem. Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ausgesetzt.

II. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II jeweils in der Fassung des Gesetzes vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, BGBI 1 2011, S.850 ff) insoweit mit Artikel 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, als für Leistungsberechtigte, die Kinder erzogen haben, der Verwertungsschutz für selbst genutzte Hausgrundstücke von angemessener Größe nicht eingreift, weil sie beim Bau bzw. Erwerb des Hauses auch den Wohnbedarf ihrer Kinder decken mussten?

 

Gründe

I. Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum 01.04. bis 30.09.2018.

Die 1960 geborene Klägerin ist seit dem 23.04.1978 mit dem am K. 1955 geborenen L. 8. verheiratet. Die Eheleute bewohnen das im Jahr 1997 von ihnen erbaute und im Eigentum des Ehemannes der Klägerin stehende Haus C., M. (Flur N., Flurstück 0., Grundbuchblatt P., Grundbuch Q.). Dieses Haus steht auf einem Grundstück mit einer Grundfläche von 689 qm und hat ausweislich des Einheitswertbescheides des Finanzamtes Q. vom 17.03.1999 eine Wohnfläche von 143,69 qm. Es verfügt ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Kopie der Bauzeichnung im Erdgeschoss über Wohnzimmer, Küche, HWR, Bad, Gäste-WC sowie über ein Schlafzimmer, im Obergeschoss über vier Kinderzimmer und ein weiteres Bad. Die Eheleute B. sind nach Fertigstellung des Hauses im November 1997 mit ihren sechs Kindern dort eingezogen (R. geb. am: S. 1978; T. geb. am: U. 1979; V. geb. am: W. 1981; X. geb. am: Y. 1982; Z. B. geb. am: AA. 1986; AB. 8., geb. am: AC. 1987). Die Kinder sind nach und nach aus diesem Haus ausgezogen, das letzte Kind AB. B. im April 2013, die Klägerin und ihr Ehemann bewohnen das Haus seitdem allein.

Der Ehemann der Klägerin übt einen Minijob aus und verdiente damit im Zeitpunkt der Antragstellung monatlich 159,12 € netto. Zuvor war er lange Zeit selbstständig und bezieht sei dem 01.11.2017 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bei der Deutschen Rentenversicherung AD. in Höhe von 189,15 € im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. 195,26 € seit Juli 2018. Herr B. ist ausweislich des Schwerbehindertenausweises vom 17.07.2012 schwerbehindert mit einem GdB von 70 und verfügt über das Merkzeichen "RF".

Am 27.04.2018 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann bejahten im Fragebogen die Frage "Ich bin - meiner Einschätzung nach - gesundheitlich in der Lage eine Tätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben." Aus den weiterhin eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass das Haus zum Stichtag 31.12.2017 mit Darlehen in Gesamthöhe von 50.850,13 € belastet war (AE. - Bauspardarlehen Nr. AF. - 5420,81 €; AE. - Bauspardarlehen Nr. AG. -494,12 €; AH. - Darlehen Nr. Al. -44.935,20 €). Als Vermögen wird in dem entsprechenden Fragebogen des Beklagten neben dem Haus ein PKW Audi A2, Erstzulassung Oktober 2002, mit 196.486 km angegeben.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II auf Zuschussbasis mit Bescheid vom 09.05.2018 ab. Zur Begründung führte er aus, der Ehemann der Klägerin sei Eigentümer eines Grundstücks und besitze damit Vermögen, das den für die Klägerin und ihren Ehemann maßgeblichen Freibetrag in Höhe von 19.650,00 € übersteige. Auf Grundlage der überreichten Unterlagen sei von einem Verkehrswert von 230.000,00 € auszugehen, sodass nach Abzug der Verbindlichkeiten von ca. 50.000,00 € sowie des Freibetrages noch ein Wert von 160.350,00 € verbleibe. Das Hausgrundstück sei auch verwertbar, insbesondere stelle es kein Schonvermögen im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II dar, da es nicht von angemessener Größe sei. Eine Angemessenheit in diesem Sinne liege bei einem Zwei-Personen-Haushalt nur vor, wenn die Wohnfläche nicht mehr als 90 qm betrage. Sofern die Klägerin keine Unterstüt...

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