Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Nachweis einer früheren Pockenimpfung durch Impfschein. Nachweis einer Impfkomplikation. Beweisnot bei Geltendmachung nach 60 Jahren. Impfung als Kleinkind. Zurechnung der Beweisunsicherheit bei fehlender Meldung im jungen Erwachsenenalter. sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten bei Fortführung einer aussichtslosen Klage aus rechthaberischen Motiven

 

Leitsatz (amtlich)

Eine 1949 durchgeführte Pflichtimpfung nach § 1 Reichsimpfgesetz (vom 8.4.1874, RGBl 31 - juris: ImpfG) kann mit einem Impfschein nachgewiesen werden.

 

Orientierungssatz

1. Die Beweisschwierigkeiten bezüglich einer Impfkomplikation bei einer Impfung im Kleinkindalter sind (auch) dem Kläger zuzurechnen, wenn diesem bei einer verzögerten Meldung nach Erreichen der Volljährigkeit im jungen Erwachsenenalter eine Nachweisführung noch wesentlich leichter gefallen wäre.

2. Wer aus rechthaberischen Motiven eine von ihm als aussichtslos erkannte Klage fortführt, handelt rechtsmissbräuchlich iS des § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.03.2017; Aktenzeichen B 9 V 51/16 B)

 

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Oktober 2014 wird abgewiesen

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Klägerin hat Gerichtskosten in Höhe von 150,00 € zu zahlen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf die Gewährung von Entschädigung nach dem Bundesseuchengesetz/Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Anspruch.

Ausweislich eines Impfscheins wurde die Klägerin am 26.04.1949 gegen Pocken geimpft.

Die Klägerin wurde am 25.07.2008 im Rahmen eines Antrags auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Auftrag der landwirtschaftlichen Alterskassen von Dr. W. begutachtet. In der Anamnese ist festgehalten, dass die Landwirtschaft der Klägerin seit 2008 verpachtet wäre. Der Vater sei 85-jährig, die Mutter 90-jährig verstorben. Als Kind habe die Klägerin eine Polioerkrankung nach angeblichem Impfschaden gehabt. Bei der abschließenden Beurteilung des Krankheitsbildes ist vermerkt, dass die 61-jährige ehemalige Landwirtin nunmehr einen Folgezustand nach Polioerkrankung als Kind zeige. Infolge der allgemeinen Schwäche der rechten Körperseite (Muskelschwund) sei es zu Folgeschäden wie Coxarthrose und Wirbelsäulenverkrümmung gekommen. Auch zeigten sich zunehmend Beschwerdebilder von Seiten einer Herz-Kreislauferkrankung, die bisher nicht therapeutisch angegangen worden seien.

Ein Antrag auf Versorgung wurde 30.08.2008 gestellt. Das Zentrum Bayern Familie und Soziales fragte beim Krankenhaus R. und beim Krankenhaus A. an, ob Krankenunterlagen über die Klägerin vorhanden seien. Die Anfrage verlief erfolglos.

Am 20.06.2013 wurde die Klägerin im Auftrag des Beklagten vom Facharzt für Neurologie und Sozialmedizin B begutachtet. Auf gezielte Fragen habe die Klägerin berichtet, dass sie schon zu Beginn des zweiten Lebensjahres angefangen habe zu gehen und auch zu sprechen. Anschließend berichtete sie und auch die zur Untersuchung anwesende Schwester, dass der Vater schon damals gesagt hätte, dass die mit dem rechten Fuß irgendetwas nicht stimme. Als der Gutachter die Klägerin dann damit konfrontierte, dass die Angeschuldigte Impfung erst im Alter von zwei Jahren durchgeführt worden sei, hat die Klägerin die Gutachter gebeten, nahezu aufgefordert, diese Aussage aus dem Gutachten zu streichen. Der Gutachter stellte weiter fest, dass bei einer Hirnschädigung durch eine Pockenmeningoenzephalitis die Schädigung eher im thorakalen oder cervikalen Rückenmark zu erwarten sei. Bei sichtbarer Atrophie der Muskulatur abwärts des Ellbogens und des Kniegelenks rechts finde sich jedoch keine relevante Arm und Beinverkürzung, was bei einer zentralbedingten Hemisymptomatik zu erwarten wäre. Die Klägerin habe kein Einverständnis erteilt ein Magnetresonanztomographie des Kopfes oder eine elektrophysiologische Untersuchung durchzuführen.

Nach dem versorgungsärztlichen Prüfvermerk von Privatdozent Dr. K. vom 26.06.2013 wurden in der Begutachtungsuntersuchung schlaffe Paresen rechts und ein leichtgradiges Horner-Syndrom beschrieben. Zusammenfassend habe der genaue Beginn der rechtsseitigen Lähmungen nicht geklärt werden können. Eine Enzephalitis durch eine Pockenschutzimpfung würde spastische Lähmungen verursachen, nach dem Untersuchungsbefund handele es sich jedoch eher um schlaffe Lähmungen. In den Untersuchungen 2008 wurde eine Poliomyelitis nach Impfung angenommen. Eine Polioimpfung geht jedoch aus den Unterlagen nicht hervor.

Der Antrag vom 30.08.2008 wurde mit Bescheid vom 19.08.2013 abgelehnt. Weder in den Krankenhäusern der R.Kliniken noch in A. sowie beim Gesundheitsamt H. hätten Unterlagen beigezogen werden können.

Mit Schreiben vom 21.09.2013 legte die Klägerin Widerspruch ein und am 15.07.2014 einen Artikel zu Lähmungen nach Masern-Mumps-Impfung vor. Mit Schreiben vom 27.09.2...

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