Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Freibeträge beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und steuerfreiem Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bezieht eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person iS des SGB 2 zum einen aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, welche nach § 3 Nr 12, 26, 26a oder 26b EStG steuerfrei sind, und zum anderen Einkommen aus einer steuerlich nicht privilegierten Erwerbstätigkeit, so ist ein gegenüber dem Grundfreibetrag nach § 11b Abs 2 S 1 SGB 2 erhöhter Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs 2 S 3 SGB 2 entgegen den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit nicht erst dann abzusetzen, wenn die Bezüge oder Einnahmen aus der im obigen Sinne steuerlich privilegierten Tätigkeit für sich den Grundfreibetrag nach § 11b Abs 2 S 1 SGB 2 in Höhe von derzeit 100,00 Euro überschreiten.
2. Der (erhöhte) Grundfreibetrag nach § 11b Abs 2 S 3 SGB 2 ist in diesen Fällen über den Gesetzeswortlaut hinaus der Höhe nach auf zweierlei Weise begrenzt, nämlich erstens durch den Gesamtbetrag der insgesamt in diesem Monat zugeflossenen Bezüge oder Einnahmen aus dem Einsatz der Arbeitskraft und zweitens durch den Grundfreibetrag nach § 11b Abs 2 S 1 SGB 2 für Einkommen aus steuerlich nicht privilegierter Erwerbstätigkeit (in Höhe von derzeit 100,00 Euro) zuzüglich der in diesem Monat zugeflossenen Bezüge oder Einnahmen aus der im obigen Sinne steuerlich privilegierten Tätigkeit.
Nachgehend
Tenor
I. Der Bescheid vom 29. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2011 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat November 2011 in Höhe von insgesamt 915,89 Euro an die Kläger zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat ein Sechstel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerinnen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. November 2011 bis zum 30. November 2011. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere umstritten, in welcher Höhe das Einkommen der Klägerin zu 1 aus ihren beiden Erwerbstätigkeiten, von denen eine steuerlich privilegiert ist, die andere nicht, bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist.
Die am 1977 geborene Klägerin zu 1 sowie ihre Töchter, die am 1996 geborene Klägerin zu 2 und die 2006 geborene Klägerin zu 3, beziehen seit Mitte des Jahres 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten.
Seit dem 1. September 2007 wohnen die Klägerinnen zur Miete in der A-Straße in A-Stadt. Hierbei handelt es sich um eine 4-Zimmer-Wohnung. Die Höhe der monatlichen Grundmiete beträgt 352,14 Euro, die Höhe der monatlich zu zahlenden kalten Betriebskosten 73,00 Euro. Die Wohnung verfügt über eine Gasetagenheizung. Der monatliche Heizkostenabschlag betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 86,00 Euro.
Der Klägerin zu 3 wurde im November 2011 Unterhalt in Höhe von 133,00 Euro gezahlt. Für die Klägerinnen zu 2 und zu 3 wurde zudem Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 Euro, insgesamt also 368,00 Euro, bewilligt und gezahlt.
Die Klägerin zu 1 übte im streitgegenständlichen Zeitraum bei der C. zum einen eine steuerlich nicht privilegierte abhängige Beschäftigung, zum anderen eine ehrenamtliche Tätigkeit aus, für welche sie eine Entschädigung erhielt.
Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 30. August 2011 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen mit Bescheid vom 6. September 2011, welcher am 13. September 2011 zur Post gegeben wurde, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. März 2012 in vorläufiger Höhe von monatlich insgesamt 807,14 Euro (vorläufiger Leistungsanspruch der Klägerin zu 1: 533,25 Euro monatlich, vorläufiger Leistungsanspruch der Klägerin zu 2: 219,09 Euro monatlich, vorläufiger Leistungsanspruch der Klägerin zu 3: 54,80 Euro monatlich). Als Grund für die vorläufige Leistungsbewilligung gab der Beklagte an, dass die Höhe des nach § 11 SGB II zu berücksichtigenden Einkommens noch nicht feststehe.
Ausweislich einer Verdienstabrechnung für den Monat November 2011 wurden der Klägerin zu 1 im Monat November 2011 214,06 Euro als Einkommen aus ihrer steuerlich nicht privilegierten Tätigkeit ausbezahlt. Dieser Betrag ging am 15. November 2011 auf dem Konto der Klägerin ein. Er entspricht dem Bruttolohn der Klägerin.
Ausweislich einer Bescheinigung über die Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit der Klägerin wurden der Klägerin zu 1 im November 2011 12,50 Euro (brutto wie netto) als Entschädigung für ihre ehrenamtliche Tätigkeit ausbezahlt. Dieser Betrag ging ebenfalls am 15. November 2011 auf dem Konto der...