Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Sozialhilfe. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Nichtanwendbarkeit auf Unionsbürger mit Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein erwerbsfähiger Unionsbürger, der wegen § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vom Leistungsbezug nach dem SGB 2 ausgeschlossen ist, ist nicht iS von § 21 S 1 SGB 12 als Erwerbsfähiger dem Grunde nach leistungsberechtigt.

2. In einem Fall, in dem nicht bereits Art 1 EFA (juris: EuFürsAbk) dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 entgegensteht, besteht ein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen - nach verfassungskonformer Auslegung im Lichte der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG - gem § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 (Anschluss an BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R und B 4 AS 44/15 R =  SozR 4-4200 § 7 Nr 43).

 

Tenor

Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 10. Dezember 2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Mai 2016, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) zu gewähren. Diese vorläufigen Leistungen betragen für den Zeitraum vom 10. bis 31. Dezember 2015 einmalig 563,93 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. Mai 2016 monatlich 774 Euro. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes über Leistungen zur Existenzsicherung.

Der im April 1971 geborene Antragsteller ist italienischer Staatsbürger und zog erstmals im März 2009 nach Deutschland. Laut seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22. Dezember 2015 kehrte er ungefähr im August 2009 nach Italien zurück und zog im Juni 2014 erneut nach Berlin. Gemäß einer Auskunft des Berliner Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) war er zwischen August 2014 und November 2014 im Bezirk Berlin Mitte gemeldet. Gemäß einer Meldebescheinigung vom Februar 2015 ist er seit Dezember 2014 unter der im Rubrum angegebenen Adresse, einem Wohnheim im Bezirk Berlin Lichtenberg, gemeldet. Die monatlichen Unterkunftskosten dort betragen 370 Euro.

Vom 15. September 2014 bis 30. November 2014 war der Antragsteller als Bauhelfer beschäftigt. Seitdem war er nicht mehr erwerbstätig. Von April bis November 2015 nahm der Antragsteller, wie in der Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsgegner vom 6. Februar 2015 festgelegt, an einem halbtäglichen Integrationskurs Deutsch teil.

Auf seinen Antrag vom 3. Februar 2015 hin bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum Februar bis Mai 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 779 Euro. Auf den folgenden Antrag vom 2. Mai 2015 hin bewilligte der Antragsgegner Leistungen in derselben Höhe für den Zeitraum Juni bis November 2015.

Den Weiterbewilligungsantrag vom 29. Oktober 2015 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 17. November 2015 ab. Zur Begründung verwies er auf den Leistungsausschluss bei einem Aufenthaltsrecht nur aus dem Zweck der Arbeitssuche. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 24. November 2015 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch. Zur Begründung gab er an, er habe sich seit Dezember 2014 intensiv um einen Arbeitsplatz auf verschiedenen Berliner Baustellen bemüht. Für die Einzelheiten wird auf den Widerspruch Bezug genommen.

Am 10. Dezember 2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt.

Der Antragsteller gibt an, weiter nach Arbeit in Deutschland zu suchen. Er beruft sich hilfsweise auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2015, wonach im Falle des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Ergebnis Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gewährt werden müssten. Der Antragsteller beantragt

ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 769 Euro bis zum 31. Dezember 2015 und in Höhe von 774 Euro monatlich ab dem 1. Januar 2016 zu bewilligen und auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt

den Antrag abzulehnen.

Er beruft sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2015 hat das Gericht das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin - Amt für Soziales - beigeladen.

Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Er ist der Meinung, örtlich zuständig sei nach der Geburtsdatenregelung der einschlägigen Verwaltungsvorschrift ein anderes Berliner Bezirksamt, da der Antragsteller ...

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