Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Anspruch auf Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes. Nachbesetzungsverfahren. dreiseitiges Rechtsverhältnis. Rücknahme des Antrages auf Ausschreibung. einstweilige Anordnung. wesentlicher Nachteil
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Ausschreibung einer Vertragsarztpraxis kann nur bestehen, wenn kein Ausschreibungsverfahren über den Vertragsarztsitz (mehr) läuft, weil mehrere Nachbesetzungsverfahren über ein und denselben Vertragsarztsitz nicht gleichzeitig durchgeführt werden können.
2. Das Nachbesetzungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht um ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Behörde, sondern um ein dreiseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem den Vertragsarztsitz aufgebenden Vertragsarzt, dem Zulassungs- bzw Berufungsausschuss (Zulassungsgremien) und den sich auf den Vertragssitz bewerbenden Ärzten handelt. Die Bewerber erhalten mit der Ausschreibung und dem Verfahrensfortgang eigene Rechte, die die Verfügungsgewalt des Vertragsarztes über das Verfahren beschränken. Die Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung ist deshalb nur bis zur Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses möglich. Dabei ist zum Schutz des ausgewählten Bewerbers auf den Tag der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses, nicht auf die Zustellung des schriftlichen Bescheides abzustellen.
3. Als denkbare wesentliche Nachteile, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen können, kommen nur solche in Betracht, die vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens unwiederbringliche (Rechts-)Verluste mit sich bringen und durch das Hauptsacheverfahren nicht wieder ausgeglichen werden können. Hierzu gehören die unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Insolvenz oder die drohende Betriebsschließung.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 16.250,- € festgesetzt.
Gründe
Der am 2. Oktober 2008 beim Sozialgericht Berlin gestellte Antrag,
der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung aufzugeben, den Vertragsarztsitz des Antragstellers als Facharzt für …, Planungsbereich Berlin, Bundeshauptstadt, Charlottenburg/Wilmersdorf, in der Ausgabe ihres Mitteilungsblatts November 2008 gem. § 103 Abs. 4 SGB V auszuschreiben,
hat keinen Erfolg. Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hat weder Anordnungsanspruch (dazu zu 1.) noch Anordnungsgrund (dazu zu 2.) glaubhaft gemacht.
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Antragstellers ist § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V. Danach hat die Kassenärztliche Vereinigung, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen. Der so geregelte Anspruch auf Ausschreibung kann jedoch nur dann bestehen, wenn kein Ausschreibungsverfahren über den Vertragsarztsitz (mehr) läuft, weil mehrere Nachbesetzungsverfahren über ein und denselben Vertragsarztsitz nicht gleichzeitig durchgeführt werden können. Denn am Ende kann nur ein einziger neuer Vertragsarzt auf den bisherigen Arztsitz zugelassen werden.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn es läuft derzeit ein Nachbesetzungsverfahren über den Vertragsarztsitz des Antragstellers, das dieser mit seinem Antrag auf Ausschreibung vom 2. Mai 2008 eingeleitet hat und das noch nicht abgeschlossen ist. Es ist weder durch die Zurücknahme des Antrags auf Ausschreibung des Arztsitzes noch durch den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20. August 2008 beendet worden.
Grundsätzlich endet ein Verwaltungsverfahren, das wie hier nur auf Antrag eingeleitet werden kann, durch die Rücknahme des Antrags (von Wulffen, SGB X, § 18 Rn. 7 und 9). Dies kann für das vorliegende Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V aber nur mit Einschränkungen gelten. Das Nachbesetzungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht um ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Behörde, sondern um ein dreiseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem den Ver...