Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. keine Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Gleichbehandlungsgebot

 

Leitsatz (amtlich)

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist gemäß Art 4 EGV 883/2004 europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass er auf Unionsbürger keine Anwendung findet.

 

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 11. Juni 2012 bis zum 30. November 2012, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 374,- EUR monatlich zu gewähren. Für den Monat Juni sind die Leistungen anteilig zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für Staatsangehörige eines europäischen Mitgliedstaates (Ungarn).

Der am 11. Juni 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Antrag des die ungarische Staatsangehörigkeit besitzenden Antragstellers,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab Antragstellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der gesetzlich zustehenden Höhe zu gewähren,

ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet entsprechende Anwendung. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist danach zunächst ein Anordnungsgrund. Dieser liegt in der Notwendigkeit der Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, die sich regelmäßig aus der Eilbedürftigkeit ergibt. Es soll verhindert werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Außerdem muss ein Anordnungsanspruch bestehen. Dieser bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers. Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010, Az. L 7 KA 139/09 B ER). Je gewichtiger der Anordnungsgrund, d.h. je größer die Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils, desto geringere Anforderungen sind an den Nachweis des Vorliegens des Anordnungsanspruchs zu stellen und umgekehrt. Gleichzeitig ersetzt auch ein klar vorliegender Anordnungsanspruch nicht vollständig das erforderliche Vorliegen eines Anordnungsgrundes.

Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragssteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vornehmen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur dann allein an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist ausschließlich anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, - Az. 1 BvR 596/05 -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegend gegeben.

Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung verfügt der Antragsteller über keinerlei Einkommen oder Vermögen, von dem er seinen Lebensunterhalt auch nur vorübergehend bestreiten könnte. D...

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