Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. einstweiliges Rechtsschutzverfahren. Bestimmung der angemessenen Gebühr. individuelle Einzelfallbetrachtung. Mittelgebühr
Orientierungssatz
1. In Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, widerspricht die grundsätzliche Festsetzung eines Abschlages der gesetzgeberischen Intention des § 14 Abs 1 RVG, denn bei Betragsrahmengebühren stehen andere Möglichkeiten für die Korrektur unbilliger Gebührenbestimmungen bzw zur Würdigung des Charakters eines Verfahrens im einstweiligen Rechtschutz zur Verfügung.
2. Sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist eine individuelle Einzelfallbetrachtung der gebührenrechtlichen Bestimmungsmerkmale vorzunehmen (vgl SG Hildesheim vom 15.11.2005 - S 12 SF 49/05 = AGS 2006, 505).
3. Bei durchschnittlichem Umfang der Tätigkeit und durchschnittlicher Schwierigkeit ist danach auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Ansatz der Mittelgebühr nicht unbillig. Denn der Rechtsanwalt ist berechtigt, den vom Gesetzgeber vorgesehenen Gebührenrahmen entsprechend den Kriterien des § 14 RVG auszufüllen und die für den konkreten Einzelfall angemessene Gebühr zu bestimmen. Der Gesetzgeber geht in allen erstinstanzlichen Verfahren vor den Sozialgerichten von der Anwendbarkeit des Gebührenrahmens der Nr 3102 RVG-VV bzw Nr 3103 RVG-VV aus und unterscheidet nicht zwischen Hauptsacheverfahren und Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz.
Tenor
Die Erinnerung des Erinnerungsführers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 5. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Erinnerungsführer hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Von einer weiteren Darstellung der Gründe wird abgesehen. Das Gericht verweist zur Begründung in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach eigener Prüfung auf die nach Ansicht der Kammer zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 142 Randziffern 5, 5 a, 5 b, 5d m. w. N.).
Ergänzend weist die Kammer auf folgendes hin:
Soweit der Erinnerungsführer geltend macht, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit in ER-Verfahren sei im Allgemeinen deutlich geringer als in Klageverfahren vertritt die Kammer folgende Auffassung:
Der Erinnerungsführer verkennt, dass in Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, grundsätzlich ein Abschlag auf die Verfahrensgebühr um ein Drittel/um die Hälfte oder um zwei Drittel ( hier: um 20%) nicht der gesetzgeberischen Intention des § 14 Abs. 1 RVG entspricht, denn bei Betragsrahmengebühren stehen nach § 14 RVG andere Möglichkeiten für die Korrektur unbilliger Gebührenbestimmungen bzw. zur Würdigung des Charakters eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz zur Verfügung. Sollte der Erinnerungsführer auf die gerichtliche Praxis bei der Festsetzung des Streitwerts der Regelungsanordnungen nach § 86b SGG (vgl. Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2009, B 7.1 - NZS 2009, 427) abstellen wollen, wird darauf hingewiesen, dass dies einen Fall des § 197a SGG voraussetzt; diese Vorschrift ist aber gerade nicht einschlägig. Eine analoge oder entsprechende Anwendung dieser Praxis ist hier nicht denkbar (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 06.03.2008 - L 6 B 198/07 SF).
Die Bestimmung der Gebühr durch die Klägerbevollmächtigte ist nicht unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Das durch den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingeleitete Verfahren löst unabhängig vom Verfahren der Hauptsache eigenständig einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus (BSG vom 06.09.1993 - 6 RKA 25/91 -). Das Sozialgericht Hildesheim hat am 15.11.2005 - S 12 SF 49/05 - ausgeführt, dass sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine individuelle Einzelfallbetrachtung der gebührenrechtlichen Bestimmungsmerkmale vorzunehmen sei. Während dies im Hauptsacheverfahren in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle zu der Festsetzung der Mittelgebühr führe, fielen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren oftmals niedrigere Gebühren als im Hauptsacheverfahren an. Ein Gebührenansatz oberhalb der Drittelgebühr sei in der Regel unbillig.
Das LSG Mainz vertrat am 11.11.2004 - L 5 ER 75/04 KA - die Auffassung, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel ein niedrigerer Streitwert festzusetzen sei als im Hauptsacheverfahren, da es dabei nur um eine vorläufige Regelung gehe. Grundsätzlich sei 1/4 des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens angemessen.
Dieser Rechtsprechung folgt die Kammer nicht. Bei durchschnittlichem Umfang der Tätigkeit und durchschnittlicher Schwierigkeit ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Ansatz der Mittelgebühr nicht unbillig. Denn der Rechtsanwalt ist ber...