Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. keine Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Gleichbehandlungsgebot

 

Leitsatz (amtlich)

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist auf Unionsbürger wegen eines Verstoßes gegen Art 4 iVm Art 3 Abs 3 iVm Art 70 iVm Anh 10 der EGV 883/2004 nicht anwendbar.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum ab 6. März 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 545,02 EUR für den Zeitraum 6. März bis 31. März 2012 und in Höhe von 628,87 EUR für die Monate April bis August 2012 zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller drei Viertel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab dem 6. März 2012 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G F B, S Str. .., … B… bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege der Einstweiligen Anordnung um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum ab dem 6. März 2012.

Der 31-jährige Antragsteller, welcher die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, hält sich mindestens seit März 2010 in Deutschland auf.

Von Mai 2010 bis August 2010 arbeitete er in einem italienischen Restaurant und verdiente in diesem Zeitraum insgesamt 1761,97 EUR. In den Monaten August 2010 und September 2010 arbeitete er in dem Restaurant “T… G…„ und verdiente 469,32 EUR im August und 370,31 EUR.

Der Antragsteller wohnt zur Untermiete in der H…straße .. in … B…, die Bruttowarmmiete beträgt laut Untermietvertrag vom 1. Mai 2010 273,50 EUR. Aus den eingereichten Kontoauszügen ergeben sich Überweisungen an den Hauptmieter von zuletzt jeweils 254,87 EUR.

Seit November 2010 bezieht der Antragsteller Leistungen beim Antragsgegner, zuletzt in Höhe von 617,38 EUR (364 EUR + 253,38 EUR) monatlich. Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag vom 22. Februar 2012 ab. Der Antragsteller sei nicht weiterhin nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU als Arbeitnehmer anzusehen, da er nicht mindestens ein Jahr in Deutschland gearbeitet habe. Er halte sich daher allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf und unterfalle damit dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.

Mit seinem Eilantrag vom 6. März 2012 wandte sich der Antragsteller an das Sozialgericht. Er ist der Auffassung ihm stünden Leistungen zu, da er seit Oktober 2010 einen Arbeitnehmerstatus habe. Darüber hinaus sei auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum ab 6. März 2012 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Auffassung, ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe nicht. Er verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Februar 2012 (Az: L 20 AS 2347/11), nach der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbar sei.

II.

Der Antrag ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte (Leistungs-)Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind von den Gerichten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in der Regel nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96).

Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, scheidet eine rein summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache jedoch aus. Die Gerichte sind in diesen Fällen vielmehr gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gehalten, die Ve...

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