Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. berufs- und freizeitbedingter höherer Kalorienbedarf. sozialgerichtliches Verfahren. Streitgegenstand. Zulassung der Berufung. Beschwerdewert. Zulässigkeit. Verfassungsmäßigkeit. Existenzminimum
Leitsatz (amtlich)
1. Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB 2 kann als abgrenzbarer Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes eigenständig geltend gemacht werden.
2. Die Geltendmachung eines berufs- oder freizeitbedingten höheren Kalorienbedarfs fällt nicht unter § 21 Abs 5 SGB 2.
3. Im sozialgerichtlichen Verfahren muss bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage der geforderte Geldbetrag nicht genau beziffert werden. Möglich ist es auch, einen Mindestbetrag geltend zu machen.
4. Wird ein Geldbetrag als Mindestbetrag geltend gemacht und ausgehend hiervon der Beschwerdewert des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG nicht erreicht, bedarf die Berufung gleichwohl keiner Zulassung.
Orientierungssatz
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 21 Abs 5 SGB 2 bestehen nicht. Der Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB 2 deckt einen medizinisch notwendigen tatsächlichen Bedarf ab und gehört daher zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum (vgl LSG Darmstadt vom 5.2.2007 - L 7 AS 241/06 ER).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines geltend gemachten ernährungsbedingten Mehrbedarfs.
Der 1983 geborene Kläger beantragte am 5. August 2008 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten. Dabei machte er unter anderem einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung geltend. Er legte ein ärztliches Attest Dr. L vom 24. Juli 2008 sowie einen “Essensplan„ vor. Dr. L führte aus, es zeige sich “ganz offensichtlich, dass zur Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Nährstoffbilanz in diesem Fall dass aktuell propagierte “Sarazzin-Menü„ nicht ausreichend„ sei.
Mit Bescheid vom 26. August 2008 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die Anerkennung eines Mehrbedarfes für eine kostenaufwändige Ernährung von den Empfehlungen und der Tabelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. (nachfolgend: DV) von 1997 abhängig und nach dieser Richtlinie bei den vom Kläger genannten Gesundheitsstörungen keine Krankenkostzulage zu gewähren sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein verbunden mit der Bitte um Mitteilung, ob das Attest Dr. L vom medizinischen Dienst geprüft worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 29. Oktober 2008 Klage erhoben. Die Richtlinien des DV hätten keine Normqualität und seien unverbindlich. Der zugestandene Regelsatz für Ernährung von 4,25 € täglich erlaube dem Kläger eine Zufuhr von nur 1.550 Kalorien. Die schweizerische Gesellschaft für Ernährung beziffere den Energiebedarf des Klägers bei einer Größe von 1,85 m und einem Gewicht von 83 kg auf mindestens 1.964 Kalorien, bei den Aktivitäten des Klägers sogar auf täglich 3.535 Kalorien.
Der Kläger beantragt schriftlich,
den Bescheid vom 26. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger vom 1. September 2008 bis zum 31. Januar 2009 einen Mehrbedarf für Ernährung in Höhe von mindestens 149,- € pro Monat zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.
Eine medizinische Notwendigkeit für einen Mehrbedarf gebe es nicht.
Das Gericht hat die Beteiligten über die Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, mit Schreiben vom 17. April 2009 angehört. Der Beklagte hat hierzu sein Einverständnis erteilt. Der Kläger teilt die Auffassung des Gerichts, der Rechtsstreit weise keine besonderen Schwierigkeiten auf, nicht. Das Gericht hat seine Absicht, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, nochmals bekräftigt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, vgl. § 105 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Beteiligten sind zur Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, gehört worden.
Streitgegenstand ist allein ein Anspruch des Klägers auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II im Zeitraum vom 1. September 2008 bis zum 31. Januar 2009, der als abgrenzbarer Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes eigenständig geltend gemacht werden kann (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 27. August 2009 - L 3 AS 245/08).
Die Klage ist zulässig. Nichts Anderes folgt daraus, dass d...