Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vorabgenehmigungspflicht von Krankenbeförderungsleistungen. Anspruch von Krankentransportunternehmen auf Unterlassung von Äußerungen der Krankenkasse zur Vorabgenehmigungspflicht von qualifizierten Krankentransporten. Unwirksamkeit der Krankentransport-Richtlinien, soweit qualifizierte Krankentransporte betroffen sind. zulässiger Rechtsweg. Verbandsklagebefugnis. Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Unwirksamkeit. Regelung in Krankentransportrichtlinien. Zulässigkeit des Rechtsweges zur Sozialgerichtsbarkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Qualifizierte Krankentransporte gemäß § 60 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 5 unterliegen nicht der Genehmigungspflicht nach § 60 Abs. 1 S. 3 SGB 5.
2. § 6 Abs 3 S 1 der Krankentransportrichtlinie entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und ist unwirksam.
3. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist trotz § 51 Abs 3 SGG eröffnet, wenn in Rechtsbeziehung nach § 69 SGB 5 auch andere Anspruchsgrundlagen als nach dem GWB bestehen. Die Verbandsklagebefugnis nach § 33 Abs 2 GWB besteht in diesen Fällen gemäß § 69 Abs Abs. 2 SGB 5 auch in Verfahren vor den Sozialgerichten.
Orientierungssatz
Ein Verstoß gegen § 20 Abs 3 GWB liegt vor, wenn die den Krankentransportmarkt beherrschende beklagte Krankenkasse ihre Stellung auf einem Markt, der gleichartigen Unternehmen zugänglich ist, dazu nutzt, mittels rechtswidriger Äußerungen höhere als gesetzliche Voraussetzungen für die Übernahme von Krankentransportkosten zu behaupten, um aus wirtschaftlichen Erwägungen die Verordnungspraxis zu steuern. Sie beeinträchtigt damit die Ertragschancen der klagenden Krankentransportunternehmen in erheblicher und rechtswidriger Weise und nutzt zugleich ihre marktbeherrschende Stellung aus, andere Unternehmen im Geschäftsverkehr dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihr ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren.
Tenor
1. Der Beklagten wird untersagt, gegenüber Ärzten in Vertragsarztpraxen, gegenüber Ärzten in anderen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Einrichtungen, gegenüber Ärzten in Krankenhäusern sowie gegenüber anderen an der Versorgung ihrer versicherten Beteiligten schriftlich, im Gespräch, in an diese Verkehrskreise gerichteten Vorträge, Schulungen oder sonstigen Verlautbarungen zu äußern: “Fahrten zur ambulanten Behandlung bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkassen.„, ohne zugleich klarzustellen, dass dies nicht für Krankentransporte gemäß § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V gilt.
2. Der Beklagten wird untersagt, gegenüber ihren Versicherten durch Anschreiben oder durch sonstige öffentliche Äußerungen zu behaupten: “Fahrten zur ambulanten Behandlung sind entsprechend § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V genehmigungspflichtig.„, ohne zugleich klarzustellen, dass dies nicht für Krankentransporte gemäß § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V gilt.
3. Der Beklagten wird untersagt, durch Hinweise auf der Internetseite www.aok-gesundheitspartner.de/nordost unter dem Stichwort “Fahrtkostenregelung„ folgende Hinweise wörtlich oder sinngemäß wiederzugeben: “Fahrten zu einer ambulanten Behandlung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen seit dem 01. Januar 2004 nur noch in Ausnahmefällen und nach vorheriger Genehmigung.„, ohne zugleich klarzustellen, dass dies nicht für Krankentransporte gemäß § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V gilt.
4. Gegen die Beklagten wird für jeden Fall des Verstoßes gegen eine der unter Ziffer 1 bis 3 genannten Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 50.000 EUR für jeden Einzelfall angedroht.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte und Kläger je zur Hälfte.
7. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren von der Beklagten die Unterlassung von Äußerungen zur Vorabgenehmigungspflicht von qualifizierten Krankentransporten gemäß § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V.
1.
Bei den Klägern zu 2) bis 28) handelt es sich um in Berlin ansässige Krankentransportunternehmen, die in Berlin Krankenbeförderungsleistungen mit Krankentransportwagen anbieten und jeweils über eine Genehmigung gemäß § 3 Rettungsdienstgesetz Berlin (RDG) verfügen. Bei dem Fahrpersonal der Krankentransporte handelt es sich um Rettungssanitäter, Rettungshelfer oder Rettungsassistenten mit jeweils theoretischer und praktischer Ausbildung. Aufgrund der einheitlichen gesetzlichen Vorgaben im RDG, dem Medizinproduktegesetz sowie der DIN EN 1789 werden Krankentransportleistungen in Berlin einheitlich erbracht.
Der Kläger zu 1) ist als eingetragener Verein der gemeinsame Landesverband der Kläger zu 2) bis zu 28) und weiterer Unternehmen. Dem Verband gehören 37 der 80 von der Beklagten als Vertragspartner ausgewiesenen Krankentransportunternehmen in Berlin an. Gemäß § 2 der Vereinssatzung ist Zweck des Verbandes die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens, die Beteiligung am Katastrophenschutz, die Mitwirkung an der Versorgung bei Notständen und im Rettungsdienst (Notfallrettung und Krankentranspo...