Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschlossener Arbeitsmarkt bei Wegeunfähigkeit des Versicherten
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat auch derjenige, der volle acht Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten kann, aber nicht in der Lage ist, den Weg zur Arbeitsstelle zurückzulegen.
2. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist Teil des nach § 43 SGB 6 versicherten Risikos. Erwerbsfähigkeit setzt deshalb die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zu bewältigen.
3. Eine tatsächlich bestehende Wegeunfähigkeit des Versicherten kann nicht durch die Gewährung fiktiver Leistungen bei Vorliegen von abstrakten Voraussetzungen beseitigt werden. Das Rehabilitationsrecht ist kein Instrument, die Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes zu gewährleisten.
4. Ist eine Behebung der Wegeunfähigkeit unwahrscheinlich, gilt der Arbeitsmarkt unabhängig von der jeweiligen Lage als verschlossen und die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist unbefristet zu gewähren.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger über den 31. Dezember 2005 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.
Die Beklagte trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die Beklagte gewährte dem am 7. Juli 1951 geborenen Kläger mit Bescheid vom 13. Mai 2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei einem Leistungsfall am 23. Januar 2002 mit Beginn am 1. August 2002 befristet bis zum 31. Dezember 2005. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2005 erklärte sich die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2006 bereit, dem Kläger - der weder über eine Fahrerlaubnis noch über ein Kraftfahrzeug verfügt - im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (Kfz-HV) unter Berücksichtigung der ggf. bei einzelnen Leistungen zu beachtenden Einkommensgrenze zu gewähren.
Auf den Antrag des Klägers auf Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2005 hinaus ließ die Beklagte den Kläger durch Dr. med. R-S auf internistischem Gebiet untersuchen. In ihrem Gutachten vom 21. Oktober 2005 kommt die Ärztin bei diagnostizierter peripherer arterieller Verschlusskrankheit II b mit Zustand nach Angioplastie und Stent-Implantation (2000, 2002 und 2003), medikamentös behandelter Hypertonie und beginnender koronarer Herzkrankheit, tablettenpflichtiger Diabetes mellitus, metabolischem Syndrom und monoklonaler Gammopathie, beginnender chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung bei Nikotinkonsum und degenerativem Lendenwirbelsäulensyndrom zu der Leistungseinschätzung, dass dem Kläger zwar noch leichte Arbeiten vollschichtig zumutbar seien, dessen Wegefähigkeit jedoch bei einer Gehstrecke von 305 Metern nicht mehr gegeben sei.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2006 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag des Klägers ab. Es liege über den Wegfallzeitpunkt hinaus weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vor. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne der Kläger zwar nicht mehr den angelernten Beruf als Einschaler bzw. Betonbauer ausüben. Er könne jedoch eine Tätigkeit, die unter Berücksichtigung des bisherigen Berufs zumutbar sei, im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
Hiergegen legte der Kläger am 9. Januar 2006 Widerspruch ein. Er sei weiterhin voll erwerbsgemindert. Sein Gesundheitszustand habe sich nicht verbessert. Außerdem sei er von der begutachtenden Ärztin nicht richtig untersucht worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Wegefähigkeit des Klägers sei zwar eingeschränkt. Da ihm jedoch - was unstreitig ist - Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kfz-HV einschließlich eines Zuschusses für seine Beförderung für den Fall der Arbeitsaufnahme sowie zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses konkret zugesichert wurden, bestehe die Möglichkeit, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu erreichen.
Mit der am 3. März 2006 (Eingang bei Gericht) erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Weitergewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente weiter. Völlig außer Acht sei geblieben, dass er nicht nur in seiner Wegefähigkeit erheblich eingeschränkt sei, sondern dass er auch unter erheblichen Schmerzen in den Beinen bei bekannter peripherer arterieller Verschlusskrankheit leide. Es habe den Anschein, als wenn die Beklagte - um seine Wegefähigkeit “wieder herzustellen„ - ihm die Kfz-Hilfe gewähre, um somit die Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung nicht gewähren zu müssen. Er sei jedoch in Folge seiner Erkrankung und Behinderung auf nicht...