Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Auskunftsanspruch des GKV-Spitzenverbandes nach § 129 Abs 5c S 4 SGB 5 aF gegenüber Apothekern. Verwaltungsaktbefugnis. Einkaufspreise der Lohnhersteller von Auskunftspflicht nicht umfasst. Angabe der Pharmazentralnummern und Bezugsdaten. zumutbarer Zeitaufwand. Auskunftszeitraum. Gemeinwohlinteresse. Datenschutz. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der GKV-Spitzenverband kann den Auskunftsanspruch nach § 129 Abs 5c S 4 SGB 5 aF (idF des AMNOG vom 22.12.2010, BGBl I 2010, 2262) gegen den Inhaber einer Apotheke durch Verwaltungsakt geltend machen (Anschluss an LSG München vom 24.5.2016 - L 5 KR 442/13 = juris RdNr 73ff; SG Reutlingen vom 20.1.2016 - S 1 KR 2979/12 = juris RdNr 35ff; SG Duisburg vom 11.4.2017 - S 39 KR 670/12 = juris RdNr 56ff; SG Leipzig vom 26.1.2016 - S 8 KR 174/13; entgegen SG München vom 26.9.2013 - S 2 KR 904/13, nv).
2. Die Auskunftspflicht der Apotheke nach § 129 Abs 5c S 4 SGB 5 aF (idF des AMNOG vom 22.12.2010, BGBl I 2010, 2262) erstreckt sich nicht auf die Einkaufspreise der für sie tätigen Lohnhersteller (Anschluss an LSG München vom 24.5.2016 - L 5 KR 442/13 = juris RdNr 98; SG Reutlingen vom 20.1.2016 - S 1 KR 2979/12 = juris RdNr 47ff; SG Duisburg vom 11.4.2017 - S 39 KR 670/12 = juris RdNr 63ff; entgegen SG Leipzig vom 26.1.2016 - S 8 KR 174/13, nv).
Orientierungssatz
1. Der in der Auskunftspflicht liegende Eingriff in die Berufs(ausübungs)freiheit und die Datenschutzrechte der Apothekeninhaber ist gerechtfertigt.
2. Die Angabe der Pharmazentralnummern und der Bezugsdaten ist zur Erreichung des mit dem Auskunftsanspruch verfolgten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen, weil ohne diese Daten eine Zuordnung und zeitliche Einordnung der Einkaufspreise nicht möglich und die Auskunft mithin weitgehend wertlos wäre.
3. Allein der mit dem Heraussuchen aus den Abrechnungsunterlagen verbundene Zeitaufwand wäre, auch wenn er mehr als einen vollen Arbeitstag in Anspruch nehmen würde, angesichts des besonders hoch zu gewichtenden öffentlichen Interesses an der Erlangung der Auskünfte, nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit zu begründen.
4. Eine vom Gesetzgeber nicht gewollte regelmäßige bzw dauerhafte Offenlegung der Preise liegt bei einem Auskunftszeitraum von lediglich drei Monaten noch nicht vor.
5. Az beim LSG Potsdam: L 1 KR 37/18.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 11. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2012 wird aufgehoben, soweit die Klägerin auch zur Auskunft über die Einkaufspreise der für sie tätigen Lohnhersteller verpflichtet wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erteilung von Auskünften über Einkaufspreise von Fertigarzneimitteln nach § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V a.F.
Der während des Klageverfahrens verstorbene vormalige Kläger R. S.(im Folgenden: der vormalige Kläger) war als eingetragener Kaufmann Inhaber der unter der rubrizierten Anschrift in Berlin nach wie vor ansässigen P.Apotheke. Die jetzige Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des vormaligen Klägers und führt die Apotheke als alleinige Inhaberin fort. In der Apotheke wurden zumindest bis 2013 parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln (vor allem Zytostatika) an Versicherte abgegeben. Diese wurden nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ganz überwiegend nicht in der Apotheke selbst hergestellt, sondern von einem Lohnhersteller. Lediglich sogenannte “ad hoc„-Zubereitungen seien in den vorgehaltenen Reinräumen der Apotheke selbst hergestellt worden. Der vormalige Kläger war von Herbst 2011 bis Frühjahr 2013 Sondervertragspartner der AOK Nordost und belieferte deren Versicherte exklusiv, was nach seinen Angaben etwa 90 Prozent der von ihm hergestellten Fertigarzneimittel betraf. Der Inhalt des Vertrages mit der AOK Nordost unterliegt nach der in dessen § 12 getroffenen Vereinbarung der Geheimhaltung auch über den Zeitpunkt der Beendigung hinaus.
Nach vorangegangener Anhörung gab der beklagte GKV-Spitzenverband dem vormaligen Kläger als Inhaber der P. Apotheke mit Bescheid vom 11. Juni 2012 auf, ihm über sämtliche Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Docetaxel, Doxorubicin, Oxaliplatin, Irinotecan und Calciumfolinat, die er im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2012 zur Herstellung von parenteralen Zubereitungen bezogen hat, Auskunft zu erteilen. Die Auskunft sollte folgende Informationen umfassen:
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Pharmazentralnummer (PZN) der genannten Arzneimittel |
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Produktbezeichnung sowie Packungsgröße (Menge einer bestimmten Einheit) |
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Bezugsmengen (Anzahl erworbener Packungen) |
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Einkaufspreis je Packung exklusive Umsatzsteuer |
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sämtliche Einkaufsvorteile, die sich unmittelbar oder mittelbar mindernd auf den Preis des Fertigarzneimittels auswirken (bspw. Rückvergütungen, Preisnachlässe, Rabatte, Umsatzbeteiligungen, Bonifikationen, rückvergütungsgleiche Gew... |