Entscheidungsstichwort (Thema)

Kompensierung einer aufgehobenen Wegefähigkeit eines Versicherten durch die Gewährung einer Kfz-Hilfe. Streitgegenstand nach § 96 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Bescheid über die Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Bescheid über die Gewährung einer LTA im Wege der Kfz-Hilfe wird nicht nach § 96 SGG Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, bei dem eine Erwerbsminderungsrente streitig ist.

2. Eine aufgehobene Wegefähigkeit eines Versicherten kann grundsätzlich durch die Gewährung einer Kfz-Hilfe ab Bekanntgabe des Bescheides ausgeglichen werden, ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente besteht für den Versicherten ab dem Folgemonat der Bekanntgabe nicht (§ 100 Abs 3 S 1 SGB 6). Für Zeiten vor der Bekanntgabe des Bescheides über die Gewährung einer Kfz-Hilfe besteht ein Anspruch des Versicherten auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

 

Orientierungssatz

Eine Kompensierung einer eingeschränkten Wegefähigkeit ist durch den Rentenversicherungsträger ausnahmsweise möglich, sofern dieser durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine ausreichende Mobilität des Versicherten wiederherstellt. Im Einzelnen muss für den Versicherten hinreichend klar bestimmt sein, mit welchen konkreten finanziellen Mobilitätshilfen er im Falle von Vorstellungsgesprächen und bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit rechnen kann (vgl BSG vom 21.3.2006 - B 5 RJ 51/04 R = SozR 4-2600 § 43 Nr 8 und vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R = juris RdNr 28 sowie B 13 R 79/11 R = BSGE 110, 1 = SozR 4-2600 § 43 Nr 17).

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 7. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2013 verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2014 sowie vom 1. Mai 2015 bis zum 30. November 2015 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu einem Viertel.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 9. März 1954 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige, verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern. Nach dreijährigem Schulbesuch in der Türkei übte sie ab 1969 in Deutschland verschiedene Tätigkeiten aus. Sie hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt versicherungspflichtig als Reinigungskraft bis 1997 tätig. Nach einer geringfügigen Beschäftigung als Küchenhilfe von 2002 bis 2004 ist sie derzeit arbeitslos und lebt von Arbeitslosengeld II. Die Klägerin verfügt weder über einen Kraftfahrzeugführerschein noch über ein Kraftfahrzeug.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 20. November 2012 eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dieser Antrag wurde nach Einholung einen orthopädischen Gutachtens von Herrn Dr. Z. und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Herrn Kn. mit Bescheid vom 7. März 2013 abgelehnt. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass zwar die Klägerin unter eine medial betonten beidseitigen Gonarthrose, chronischen Rückenschmerzen bei Übergewicht sowie einer angstbesetzten depressiven Störung bei Schlafmittelabhängigkeit leide, jedoch die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. So sei sie aufgrund des ärztlicherseits festgestellten Leistungsvermögens in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Ferner sei die Klägerin auch nicht berufsunfähig, da sie ihre letzte Tätigkeit als Küchenhilfe mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch, den sie mit einer fehlerhaften Bewertung ihres Gesundheitszustandes durch die Beklagte begründete und weitere medizinische Unterlagen einreichte.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2013 zurück: Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da die von der Klägerin eingereichten medizinischen Unterlagen nicht zu einer abweichenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung führten. Auch sei die Klägerin nicht berufsunfähig; zwar könne sie ihre letzte Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr sechs Stunden täglich ausüben, aufgrund ihres beruflichen Werdegangs sei sie aber auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Mit ihrer am 23. August 2013 vor dem Sozialgericht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente weiter. Zur Begründung führt sie aus, dass sie an verschiedenen orthopädischen und psychiatrischen Erkrankungen leide.

Die Klägerin absolvierte vom 8. Oktober 2013 bis zum 6. November 2013 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik Bad F. Nach dem Entlassungsbericht vom 20. November 2013 bestanden bei der Klägerin folgende gesundheitliche Leiden: eine Gonathrose links mit Zustand nach Knie-TEP-Implantation am 25. September 2013, Bluthochdruck sowie eine Depression. Die Klägerin wurde arbeitsunfähi...

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