Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Dreipersonenhaushalt in Berlin. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts. Heranziehung des Mietspiegels. unvorhersehbare Preissprünge. Notwendigkeit einer Verfügbarkeitsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Berliner Tabellenmietspiegel liefern keine repräsentative Abbildung des für Transferleistungsempfänger relevanten Wohnungsmarktes.

2. Unter den Bedingungen eines angespannten Wohnungsmarktes (Mietpreisbremse) begründen gewichtete Mietspiegelwerte keine Vermutung, dass es zu diesen Werten hinreichend verfügbaren Wohnraum gibt.

3. Unter "unvorhersehbaren Preissprüngen", die eine Aktualisierung der zur Entwicklung eines schlüssigen Konzepts herangezogenen Daten erfordern, sind Preisschocks auf der Nachfrageseite zu verstehen; der Begriff ist ökonomisch, nicht normativ zu interpretieren.

4. Ohne Verfügbarkeitsprüfung kann auch unter Heranziehung gewichteter Mietspiegeldaten für Wohnungen in mittlerer Lage kein schlüssiges Konzept entwickelt werden.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 4.11.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2016 sowie der Bescheide vom 23.12.2016 verurteilt,

1. den Klägern zu 1) und 2) in den Monaten Oktober und November 2015 monatlich jeweils 224,46 € sowie in den Monaten Januar, Februar und März 2016 monatlich jeweils 264,42 € Unterkunfts- und Heizkosten zu bewilligen unter Anrechnung der bereits gewährten KdU-Leistungen.

2. den Klägern zu 1) und 2) im Monat Dezember 2015 jeweils 278,50 € Unterkunfts- und Heizkosten zu bewilligen unter Anrechnung der bereits gewährten KdU-Leistungen.

3. dem Kläger zu 3) unter Aufhebung des Bescheides vom 23.12.2016 in den Monaten Januar, Februar und März 2016 einen Mietzuschuss nach § 27 Abs. 3 a. F. SGB II in Höhe von monatlich 69,31 € zu bewilligen.

4. Die die Kläger zu 1) und 2) betreffenden Bescheide vom 7.8.2017 werden aufgehoben

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Der Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten.

7. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Unterkunfts- und Heizkosten im Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016.

Im Januar 2006 war die seinerzeit aus 4 Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft (BG) - Klägerin zu 1) mit Ehemann und zwei Kindern, den Klägern zu 2) und 3) - im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen in eine Wohnung gezogen, die nach damaliger Wertung unangemessen teuer war. Der Beklagte war nicht beteiligt worden.

In Zuge eines Klageverfahrens (S 101 AS 5137/08) hatte der Beklagte für die neue Wohnung einen KdU-Bedarf in Höhe der abstrakt angemessenen Kosten für eine 4-Personen-BG anerkannt.

Im September 2010 kam es zur Trennung mit Auszug des Ehemannes der Klägerin zu 1) aus der Wohnung.

Dennoch hatte der Beklagte zunächst die Mietkosten nach dem abstrakten AV-Wert für eine 4-Personen-BG weiter übernommen, zuletzt mit Bescheid vom 2.4.2013.

Ohne förmliches Kostensenkungsverfahren wechselte der Beklagte dann auf den KdU-Richtwert für eine 3-Personen-BG plus 10% Alleinerziehungszuschlag.

Diesen - nach der AV-Wohnen fortgeschriebenen - Wert von 666,57 € legte er auch einer vorläufigen Bewilligung für den Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016 zugrunde (Bescheid vom 8.9.2015).

Weil der Kläger zu 3) im Oktober 2010 ein Studium mit BAföG-Förderanspruch aufgenommen hatte, bewilligte der Beklagte den Klägern zu 1) und 2) für die Monate Dezember 2015 bis März 2016 mit endgültigem Bescheid vom 4.11.2015 neben den Regelbedarfsleistungen nach § 20 SGB II anteilige Miet- und Heizkosten nach einem AV-Wert von 666,57 € und dem Kläger zu 3) für diesen Zeitraum einen nach dem KdU-Wert von 666,57 € berechneten Mietzuschuss (§ 27 Abs. 3, Fassung bis 31.7.2016).

Die tatsächliche Miete der 121,83 qm großen, mit einer zentralen Erdgasheizung versehenen Wohnung mit dezentraler Warmwasserversorgung (Durchlauferhitzer) in einem Gebäude mit einer Gesamtfläche von 1.744,41 qm lag im streitigen Zeitraum bei 539,60 € Kaltmiete + 250 € Betriebskostenabschlag + 106 € Heizkostenabschlag.

Den gegen die Bestimmung des KdU-Bedarfs erhobenen Widerspruch zum Bescheid vom 8.9.2015 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 als unbegründet zurück (Der Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 4.11.2015 war mit Verweis auf § 86 SGG als unzulässig verworfen worden).

Am 26. Februar 2016 haben die Kläger beim Sozialgericht Berlin Klage auf Übernahme höherer Mietkosten erhoben.

Sie machen geltend, mangels eines Kostensenkungsverfahrens nach Auszug des Ehemannes der Klägerin seien nach wie vor die Werte für eine 4-Personen-BG maßgebend. Die Werte der AV-Wohnen seien nicht schlüssig.

Sollte das Gericht der Auffassung sein, dass ein schlüssiges Konzept nach Schifferdecker/Silbermann bestehe, sei zumindest dieses zugrunde zu legen; sofern nach Ansicht des Gerichts kein schlüssiges Konzept erstellt werden könne, bestimme nach BSG-Rechtsprechung die Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG plus 10% Zuschlag den KdU-...

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